Zwei junge Kunstwissenschaftler wollen in diesem Jahr die Aufmerksamkeit auf die vernachlässigte Industriearchitektur der bulgarischen Moderne lenken. Dieses architektonische Vermächtnis aus der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen bröckelt, fällt den Flammen zum Opfer oder wird abgerissen, ohne dass diese Fakten in der Öffentlichkeit auf Wut und Widerstand stoßen.
Durch talentierte bulgarische Architekten, die an renommierten europäischen Universitäten ausgebildet wurden, erreichte dieser Architekturstil auch Bulgarien. Sie bauten nicht nur öffentliche Gebäude und Privathäuser, sondern auch zahlreiche Fabriken, Eisenbahnanlagen, Brücken und Schlachthöfe, die von der rasanten Wirtschaftsentwicklung des Landes gebraucht wurden.
„Die Industriearchitektur ist interessant, weil durch sie die seinerzeit neuesten Tendenzen und Baumaterialien nach Bulgarien gelangten wie beispielsweise die breite Anwendung von Glas und Beton beim Überwölben von großen Räumen“, erklärt Wassil Makarinow von der Stiftung „Bulgarische Moderne in der Architektur“. „Dieser Baustil entspricht der Anforderung nach Funktionalität beim Bau von Fabriken. Für den Produktionsprozess sind große Räume für die Anlagen und gute Beleuchtung unabdingbar. Die gleichen Elemente wurden aber auch in der zivilen Architektur der 1920-iger bis 40-iger Jahre angewandt.“
Über den Modernismus in der Industriearchitektur können wir heute leider nur aus vergilbten Fotografien aus den 50-iger Jahren des vorigen Jahrhunderts schließen.
Ende 2019 wurde auf Wunsch des Besitzers das Eisenbahnwerk in der Hauptstadt bis auf den Grund und Boden zerstört, ein Werk des Architekten Panajot Kaltschew, mit wunderschönen Hallen mit Rippenstruktur aus Stahlbeton und Kuppeln mit Oberlicht.
Immer noch sehr frisch ist auch die Erinnerung an die abgebrannten Hallen der alten Tabakfabrik in Plowdiw, angeblich angezündet von einem Obdachlosen.
Zerstört oder dem Zahn der Zeit überlassen sind viele weitere Fabrikgebäude in den größeren Städten Bulgariens, weil dieses Erbe immer seltener als wertvoll eingeschätzt wird.
„Auf der einen Seite zeigt ein Blick in die Register, dass es nicht viele Gebäude im Stil der Industriearchitektur gibt, die als Kulturerbe geschützt sind. Andererseits gewährleistet dieser Status nicht unbedingt die Erhaltung des Gebäudes“, sagt Wassil Makarinow und nennt als eines der drastischen Beispiele das Schicksal der alten Zuckerfabrik in Sofia.
„Dieses Gebäude steht natürlich unter Schutz. Doch was hat es gebracht?“, fragt er rhetorisch. „Eine viel bessere Waffe beim Schutz der kulturellen Werte wäre die Informiertheit. Der Begriff „Kulturgut“ sollte nicht nur vom juristischen Blickwinkel aus betrachtet werden. Diese Gebäude sind das materielle Gedächtnis der Wirtschaftsgeschichte und Architektur Bulgariens in einem bestimmten Zeitabschnitt.“
Das Nationale Institut für das materielle Kulturerbe ist jene Institution, die den Schutz solcher Gebäude überwachen sollte. „In Wirklichkeit ist es aber nicht so“, behauptet Wassil Makarinow. Deshalb hat er gemeinsam mit seinem Mitstreiter Teodor Karolew eine Aufklärungskampagne über den Wert der Industriegebäude initiiert, deren authentisches Aussehen die Fortführung der europäischen Kunst in Bulgarien belegt.
„Wenn der Eigentümer erfährt, wie wertvoll sein Gebäude gerade mit seinem ursprünglichen Aussehen ist, wird er der Letzte sein, der dieses Objekt zerstören würde. Viel wahrscheinlicher ist es, dass er Schritte unternimmt, um es zu erhalten, so dass es Gewinn abwirft“, ist der Kunstwissenschaftler überzeugt und führt als Beispiel ähnliche Bauwerke in Westeuropa an, die für kulturelle Zwecke genutzt werden.
Wassil Makarinow schlägt Alarm, die ehemalige Schlachtfabrik in Sofia, eines der herausragenden Beispiele des Modernismus aus der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, zu retten.
Übersetzung: Georgetta Janewa
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