Der Herbst war in Bulgarien die Zeit für die Brautschau, denn dann schloss man die Feldarbeit ab – man konnte sich an den Früchten seiner Arbeit erfreuen und neben den Vorbereitungen auf den nahenden Winter auch an andere Dinge denken.
Eine gute Möglichkeit für die jungen unverheirateten Bulgaren, sich einen Ehepartner auszusuchen, waren die Spinnstubenabende. An ihnen versammelten sich die Burschen und Mädchen in einem der Höfe des Dorfes und halfen gemeinsam bei irgendeiner Arbeit, beispielsweise beim Schälen der Maiskolben, oder dem Auffädeln von roten Paprikaschoten. Die Mädchen hatten ihrerseits nun endlich Zeit, um an ihrer Aussteuer zu arbeiten. Schließlich mussten sie bis zu ihrer Hochzeit mehrere Trachten nähen und vor allem besticken. An den Spinnstubenabenden zeigten die Mädchen ihre Geschicklichkeit bei der Erledigung verschiedener Hausarbeiten und das vor den neugierigen Augen der Burschen. Dies war eine Art Prüfung für die unvermählten Mädchen.
Es war üblich, dass die Junggesellen erraten mussten, in welchem Haus sich die jungen Mädchen versammeln. Die Jungs wurden nicht speziell eingeladen, waren aber stets willkommene Gäste. Die Mädchen stritten zuweilen darum, in welchem Haus der Spinnstubenabend stattfinden soll, denn die Gastgeberin konnte zeigen, wie fürsorglich und liebevoll sie mit den Gästen umgehen kann. Dies war nämlich ein sicheres Zeichen dafür, dass sie später nach der erstrebten Heirat eine gute Hausfrau sein wird.
In den kleinen Dörfern war es für die Junggesellen leichter zu erraten, wo gerade die Mädchen zusammensitzen. In den größeren Dörfern veranstaltete man an einem Abend mehrere solcher Treffen. Dann hatten die Burschen, die noch kein passendes Mädchen gefunden hatten, die Möglichkeit, an verschiedenen Spinnstubenabenden teilzunehmen.
Zu erraten, wo der Spinnstubenabend veranstaltet wird, war für die Burschen keine schwere Aufgabe. Ein Feuer wurde bereits am Nachmittag im Hof entfacht und die Arbeit begann noch vor Sonnenuntergang. Erst wenn es dunkel wurde, ging man ins Haus. Die Jungs mussten sich also im Dorf nur kurz umsehen, in wessen Hof ein Feuer brannte und wussten sofort, wo die Mädchen am Abend sein werden. Im Winter war es schwerer – da hörten sich die Burschen um, aus welchem Haus der Gesang der versammelten Mädchen zu hören war, denn zu den Spinnstubenabenden wurde viel gesungen.
In den letzten Sommertagen pflückten die Mädchen Liebesblumen und banden sie zu einem Blumenstrauß. Jede Blume hatte ihre Bedeutung. So ist die Ringelblume ein klares Heiratszeichen, die Nelkenwurz sollte den Junggesellen verführen, die Rose stand für Freude. Nahm einer der Jungs den Blumenstrauß eines Mädchens, so galt dies als Liebeserklärung. Die Mädchen ergriffen aber auch die Initiative und verschenkten ihre Blumensträuße. Der Junggeselle trug dann die Blumen am Revers, um allen zu zeigen, dass er seine zukünftige Frau bereits ausgesucht habe. Sogar in den Liedern, die die jungen Leute an den Spinnstubenabenden gemeinsam sangen, wurden die Namen der Verliebten genannt.
Nach Weihnachten und Neujahr begann die Zeit der Vermählungen. Die Spinnstubenabende dauerten trotzdem bis in den Frühling. Am letzten Spinnstubenabend gab es einen festen Brauch – dann wurden die unverheiratet gebliebenen Burschen und Mädchen gezählt und mit Scherzen und Streichen aufgemuntert, weiter nach dem Partner fürs Leben zu suchen.
Deutsche Fassung: Wladimir Wladimirow
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