Die Absetzung des bisherigen Generalstaatsanwalts Iwan Geschew und die Ernennung seines Stellvertreters Borislaw Sarafow zum Chefankläger kann die Spannung im bulgarischen Justizsystem nicht beruhigen, kommentierten Beobachter. Der Verband der Richter bezeichnete die Entscheidung des Staatsanwaltschaftskollegiums, Borislaw Sarafow zeitweilig zum Generalstaatsanwalt zu ernennen als „eine neue beschämende Entscheidung, die der Autorität der Justizbehörde ernsthaften Schaden zufügt“ und forderte den Obersten Justizrat auf, eine neue Wahl zu treffen. Der Oberste Justizrat unternahm jedoch nichts dergleichen, sondern entließ drei ehemalige Stellvertreter von Iwan Geschew und ernannte Maria Pawlowa, ehemalige stellvertretende Justizministerin, zur Stellvertreterin von Borislaw Sarafow.
„Wir sind Zeugen eines blitzartigen Vorgehens des Kollegiums der Staatsanwälte, das unverständlich und darüber hinaus unmotiviert ist. Das Kollegium ist ein Beispiel für eine einheitliche Abstimmung. Deshalb ist es notwendig, ein außerordentliches Plenum einzuberufen. Der Oberste Gerichtsrat ist nicht legitim und nicht in der Lage, einen neuen Generalstaatsanwalt zu wählen“, erklärte Krassimir Masgalow vom Verband der Richter für den Bulgarischen Nationalen Rundfunk (BNR).
„Im letzten Monat wurden der Öffentlichkeit Tatsachen bekannt, die sowohl für die Integrität als auch für die berufliche Qualität von Borislaw Sarafow nicht gut sprechen. Borislaw Sarafow verteidigte lange vehement die These, dass das Verfahren zur Untersuchung des Generalstaatsanwalts nicht verabschiedet werden sollte. Plötzlich änderte er seine Meinung grundlegend. Es stellt sich die Frage, warum und wann Sarafow lügt“, kommentierte Krassimir Masgalow.
Die gestrige Ankündigung des ehemaligen Generalstaatsanwalts, dass er sich aus dem Justizsystem zurückzieht und eine politische Karriere anstrebt, wird in Bulgarien heute vielfach kommentiert. Es schalten sich sogar Psychiater ein.
„Es ist irgendwie schmerzhaft und rücksichtslos, wenn verschiedene Personen sich der nationale Ideale und Helden bedienen und sich in heroischen Posen darstellen“, kommentierte der Psychiater Dr. Ljubomir Kanow.
„Das, was aus der größtenteils pompösen Erklärung des ehemaligen Generalstaatsanwalts Iwan Geschew folgt, ist eine seltsame Metamorphose. Angesichts der Tatsache, dass er über so viele Informationen zu einer Reihe schockierender Fälle verfügt, die nicht vorangetrieben werden, hinterlässt bei nichtinformierten Menschen, zu denen auch ich gehöre, den Eindruck, dass die Fäden des ineffektiven Justizsystems und die inoffizielle Koalition zwischen der kriminellen Welt und der Justiz seit Jahrzehnten bestimmen, wie dieses System funktionieren und was das Justizsystem in Bulgarien darstellen soll“, sagte der Psychiater.
„Iwan Geschew hat sich in seiner Rede als Märtyrer, als siegreiches Opfer dargestellt“, erklärte der Psychiater und politische Analysator Dr. Nikolaj Michajlow.
Der Politologe Daniel Smilow ist kategorisch, dass die Zukunft der Justizreform von der Einigung der politischen Kräfte bezüglich der Wahl der Mitglieder des Obersten Justizrates abhängt.
„Der politische Ansatz, der demonstriert werden wird, wird zeigen, ob wir Zeuge von etwas Neuem sein oder ob wir mehr vom Alten sehen werden. Die Formulierung von Ideen für eine Verfassungsreform wird ein weiterer wichtiger Schritt sein. Die große Frage ist, wie die neue herrschende Mehrheit vorgehen wird“, sagte Daniel Smilow.
Wie das Justizsystem von der Öffentlichkeit wahrgenommen wird
„Das Vertrauen der Öffentlichkeit in das Justizsystem ist gering und es ist schwer zu sagen, um wie viel mehr dieses Vertrauen sinken kann“, kommentierte die Soziologin von der Meinungsforschungsagentur Global Metrics, Radostina Angelowa.
Ihrer Meinung nach wird die öffentliche Meinung zum Justizsystem hauptsächlich durch die Medien geprägt. Sie spiegelt zu einem Großteil die Arbeit zu spektakulären Strafverfahren und die Erwartung für Gerechtigkeit wider. Wenn das öffentliche Vertrauen in das Justizsystem gering ist, führt das zu Distanz und Skepsis, ob Gerechtigkeit in der bulgarischen Gesellschaft überhaupt möglich ist und erreicht werden kann. Die Unabhängigkeit des Justizsystems und seine Fähigkeit, unparteiisch gegenüber den beteiligten Konfliktparteien zu sein, wird stark in Frage gestellt“, kommentierte die Soziologin abschließend.
Zusammengestellt: Joan Kolev
Übersetzung: Georgetta Janewa
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