Dominique Wolton, ein französischer Soziologe und Autor mit einer beeindruckenden Bibliographie in den Bereichen Kommunikation, Technologie, Globalismus, Aufbau Europas und kulturelle Vielfalt, besuchte Bulgarien im Zusammenhang mit der Eröffnung des bulgarischen Büros der wissenschaftlichen Zeitschrift „HERMÈS “, die er 1988 gegründet hat und immer noch leitet.
Nach Worten von Wolton hat die Zeitschrift in ihrer 35-jährigen Geschichte versucht, die Kommunikation in Verbindung mit Menschen, Technologien, Kulturen und Gesellschaften einer interdisziplinären Analyse zu unterziehen, indem sie 2.000 Autoren zu Wort kommen ließ. Bei öffentlichen Vorlesungen im Rektorat und an der Fakultät für Journalismus der Sofioter Universität „Heiliger Kliment von Ochrid“ stellte der Gast seine Thesen über die Kommunikation als ständige Verhandlung vor, die unermesslich komplexer als Information und unabhängig von der Geschwindigkeit der Technologien ist. Und er äußerte auch seine Ansichten über ein Europa, in dem wir uns nicht verstehen, aber ununterbrochen reden.
In einem Interview für „Radio Bulgarien“ erläuterte Dominique Wolton die Bedeutung des von ihm eingeführten Begriffs der „Nicht-Kommunikation“ (incommunication). „Nicht-Kommunikation“ sieht er als Bedingung für Koexistenz an sowie als etwas, das gleichzeitig der Kommunikation, aber auch der radikalen Verweigerung von Kommunikation (acommunication) gegenübergestellt ist, welche nur zu Krieg und Gewalt führen kann. Im Zeitalter der Meinungsfreiheit und der Medien ist es heute viel einfacher, zu sprechen, nicht aber, uns gegenseitig zu verstehen. Hier kommt die Nicht-Kommunikation ins Spiel. Wir versuchen einander zu verstehen, da uns das aber misslingt, verhandeln wir.
Unsere Kommunikation läuft weitgehend über Stereotypen:
„Das Stereotyp ist eine Karikatur des Gesprächspartners, ein Hindernis für die Kommunikation, aber ohne das Stereotyp kann ich eine andere Person nicht ansprechen, weil sie mir nicht ähnlich ist. Ihre Sprache und Kultur sind anders. Das Stereotyp hindert uns daran, einander direkt zu verstehen, mit dessen Hilfe gelingt es uns aber, jemandem etwas zu sagen“, erklärte Wolton.
Nicht minder kompliziert ist die klischeehafte bürokratische Sprache (langue de bois). Sie stellt eine unechte, aber indirekte Weise zu sprechen dar und ist eine notwendige Voraussetzung für den Dialog. „Stereotypen müssen kritisiert werden, ebenso wie die bürokratische Sprache, aber wir sollten nicht so naiv sein, zu glauben, dass wir frei miteinander sprechen können“, meint Wolton.
Und wie funktioniert der Dialog zwischen Ost- und Westeuropa?
„Der Kommunismus hat Europa in zwei Hälften geteilt. Während der 60 Jahre Kommunismus herrschten in Westeuropa Freiheit und Demokratie. Ich habe den Eindruck, dass die Wiedervereinigung nach 1990 nicht gut verlaufen ist, weil die Osteuropäer nicht ganz verstanden haben, was im Westen passiert ist. Und vor allem ist Westeuropa nicht neugierig genug auf all das, was Osteuropa getan hat und auf seinen Widerstand gegen den Kommunismus. Es braucht Bemühungen von beiden Seiten – damit Osteuropa versteht, dass seine Geschichte anders ist und damit wir in Westeuropa die Geschichte Osteuropas verstehen, um nicht so arrogant zu sein.“
Dominique Wolton, der in 23 Sprachen übersetzt wurde, misst der sprachlichen Vielfalt eine große Bedeutung zu. Seiner Meinung nach ist „der Übersetzer ein Vermittler von Differenzen“ (passeur de différences). Die Sprachenvielfalt ist in der Tat neben der Ökologie der wichtigste politische Kampf, denn sie ist eine Voraussetzung für kulturelle Vielfalt. Die eigenen Sprachen müssen erhalten bleiben, ansonsten werden mit der Zeit ideologische und politische Konflikte heranreifen.
In diesen komplexen Kontext fügt sich auch das vereinte Europa ein, das für Dominique Wolton eine Utopie ist. „Eine Weltkarte, in der Utopia nicht verzeichnet ist, ist keines Blickes wert“, schreibt Oscar Wilde. Liegt hier aber nicht ein Paradoxon vor? Schließlich ist die grundlegende Eigenschaft von Utopien, dass sie nicht existieren.
„Es stimmt“, antwortete der französische Soziologe. „Die Utopie existiert nicht, aber sie ermöglicht den Fortschritt der Menschen. Europa ist ein gutes Beispiel: Wir sind 27 Länder, wir mögen uns nicht besonders, wir haben viele Streitigkeiten und eine Geschichte voller Gewalt. Und doch versuchen wir, eine Gemeinschaft aufzubauen und es gelingt uns. Die Lektion, die sie uns lehrt, ist eine bescheidene: Wir bauen sie auf, auch wenn wir uns nicht verstehen. Zugleich gibt sie uns auch eine tolle Lektion in Sachen Utopien, denn wir schaffen es trotz schwieriger Kommunikation, miteinander zu reden und gemeinsam etwas zu tun. In der Politik ist Utopie notwendig“, so Dominique Wolton abschließend.
Übersetzung: Rossiza Radulowa
Fotos: uni-sofia.bg
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