Die Wahlen sind vorbei, aber die Ungewissheit über die Zukunft bleibt. Zu den Erwartungen der Bürger, dass eine reguläre Regierung mit einem längerem Zeithorizont gebildet werden kann, gesellt sich zunehmend auch die Hoffnung, dass die Abgeordneten versuchen werden, die Inflation einzudämmen und ihre Einkommen zu erhöhen. An der Schwelle zum Winter sind unsere Landesleute stark beunruhigt, dass sie wegen der steigenden Lebensmittel- und Heizungspreise die Gürtel noch enger schnallen müssen. Je nachdem, ob es sich um Senioren mit Renten unter 500 Lewa oder um junge Menschen handelt, deren Einkommen um ein Mehrfaches höher ist, unterscheiden sich auch die Meinungen.
„Es liegt ein ungutes Gefühl im Raum. Ich persönlich spüre das an den Einkommen, den Preisen und der großen Kluft zwischen beiden“, so ein Mann mittleren Alters in einer Umfrage des BNR-Inlandsprogramms „Horizont“.
„Die Inflation und die steigenden Haushaltsrechnungen machen mir Angst“, gestand ein Bürger aus Sofia.
„Ich mache mir vor allem Sorgen um meine beiden Kinder“, sagte eine Frau auf der Straße. „Mein großer Sohn ist 20 Jahre alt, der kleine ist 9 und das, was da passiert, ist wirklich beunruhigend. Alles geht sehr schnell und wir haben keine Zeit, uns vorzubereiten.“
„Wir sind beunruhigt über die raschen Preisänderungen, über diese Instabilität, zum Beispiel beim Strompreis. Das sind alles Dinge, auf die wir keinen Einfluss haben“, ergänzte ein Rentner.
Angst, die Arbeit zu verlieren, weniger Einkommen zu haben und die Rechnungen nicht bezahlen zu können äußern nicht nur Bürger, sondern auch kleine und mittlere Unternehmer in Bulgarien, wie z. B. die Inhaber eines kleinen Geschäfts im Dorf Schiroko Pole bei Kardschali.
„Sowohl die Menschen als auch die Unternehmen leiden darunter. Nach 24 Jahren erwägen wir, unser Lebensmittelgeschäft zu schließen. Fast jeden Tag treffen die Produkte mit erhöhten Preisen ein. Unser Umsatz ist nicht gesunken, aber unsere Kosten sind drastisch gestiegen“, sagte der Inhaber Sewgjul Kadir. „Ich muss 2.000 Lewa für Strom bezahlen, muss aber auch etwas für meine Kinder verdienen und das ist sehr schwierig. Ich sehe auch, was die Leute kaufen - meistens nur Brot. Käse und Hartkäse sind Luxus, manchmal können sie sich auch keine Wurst leisten und geben sie wieder zurück. Das Geld kommt meist von den Kindern, die irgendwo im Ausland arbeiten.“
Um angesichts der ständig steigenden Inflation das Überleben der kleinen und mittleren Unternehmen zu sichern, sind dringende Gesundungsmaßnahmen erforderlich, erklärte Waska Baklarowa, Vorstandsvorsitzende des Vereins für Wirtschaftsinitiative, gegenüber dem BNR:
„Die kleinen und mittleren Unternehmen liegen in ihren letzten Zügen. Noch stärker bedroht sind große Unternehmen und Produktionsanlagen, die einen hohen Stromverbrauch haben. In Bulgarien ist die Situation dank der Ausgleichsmaßnahmen vorerst eingedämmt, aber wie es nach Januar nächsten Jahres weitergeht und wie viele unserer Mitglieder vor dem Dilemma stehen werden, ihr Geschäft weiterzuführen oder aufzugeben, können wir nicht vorhersagen“, sagte Waska Baklarowa.
Der Wirtschaftswissenschaftler Latschesar Bogdanow ist optimistisch, dass sich die Inflation noch ein-zwei Monate auf diesem Niveau halten wird. Seinen Worten zufolge werden sich zwei Faktoren auf ihre Eindämmung auswirken:
„Der erste Faktor ist der Schock in Europa durch den mehr als zehnfachen Anstieg des Erdgaspreises. Und der zweite ist, dass die Zentralbanken begonnen haben, die Bedingungen für den Zugang zu Krediten zu verschärfen, d.h. Geld wird teurer und schwerer zu bekommen sein und das wird sich auf die Wirtschaftstätigkeit auswirken.“
In einer Zeit wie dieser wäre es ratsam, darüber nachzudenken, inwieweit der 1. Januar 2024 als Datum für den Beitritt unseres Landes zur Eurozone ein erreichbares Ziel ist. In einem Interview für den BNR erklärte Prof. Jeffrey Nielsen, Mitglied des Expertenrates für Wirtschaftsfragen, der vor einigen Tagen von Vizepremier Atanas Pekanow vorgestellt wurde, dass Bulgarien der Eurozone beitreten sollte, um an der geldpolitischen Entscheidungsfindung der Europäischen Zentralbank teilzunehmen. Er schloss aber einige Turbulenzen auf dem Weg dorthin nicht aus. Obwohl wir noch weit vom Sturm in der globalen Wirtschaft sind, vor dem der Internationale Währungsfonds bei seinen jährlichen Treffen mit Vertretern der Weltbank gewarnt hat, hält der Professor die Inflation in Bulgarien für überraschend hoch:
„Ich war erstaunt über die Daten der Nationalen Statistik, wonach die jährliche Inflationsrate im August 17,7 Prozent betragen hat. Das liegt deutlich über dem durchschnittlichen Inflationsanstieg in der Eurozone und auch in den Vereinigten Staaten. Der rasante Preisanstieg ist wirklich ein Sturm“, räumte Prof. Jeffrey Nielsen ein.
Was die Ansicht von Finanzexperten betrifft, dass das beste Mittel zur Bekämpfung der hohen Inflation eine Rezession ist, meinte er:
„Das ist die Hauptmethode, mit der die Zentralbanken in der Vergangenheit die Inflation eingedämmt haben. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass der wichtigste Faktor für die Inflation die hohen Energiepreise sind. Wenn eine Einigung über den russischen Krieg in der Ukraine erzielt wird, wird das mit Sicherheit den Inflationsdruck durch die Energieressourcen verringern. Die Wahrscheinlichkeit einer solchen Entwicklung scheint jedoch, zumindest derzeit, nicht allzu groß zu sein“, so Prof. Jeffrey Nielsen abschließend.
Übersetzung: Rossiza Radulowa
Fotos: BGNES
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