Die Parlamentswahlen sind vorbei, Klarheit über die politische Zukunft des Landes gibt es jedoch nicht. In dieser Woche wird erwartet, dass der Präsident Rumen Radew einen Termin für die Einberufung des 48. Parlaments benennt. Die große Frage ist, ob eine Formel gefunden werden wird, um eine stabile Regierung zu bilden, die das Land durch die sich abzeichnenden schwierigen Wintermonate führt.
„Wir stehen vor einer Situation, in der die Gewinner eigentlich die Verlierer sind. Der kommende Winter mit all den jetzigen und möglichen Krisen wird ihre Chancen, erneut gewählt zu werden einfach vernichten. Bei den nächsten Wahlen werden sie eindeutig die Verlierer sein“, schrieb in einem Kommentar für die Zeitung „Dnewnik“ Edwin Sugarew, Dichter und Aktivist in der Zeit nach der Wende von 1989. Seiner Ansicht nach sei es in der heutigen Zeit politisch profitabel, in Opposition zu sein, da die künftige Regierung einen weiten Horizont für Angriffe auf die Amtsinhaber eröffnet und das Zeitfenster für ihr Überleben kurz ist. Niemand glaube, dass die künftige Regierung mehr als einige Monate regieren wird. Ihr werde eine Lebensdauer höchstens bis zu den Kommunalwahlen 2023 eingeräumt, fügt Edwin Sugarew hinzu.
Wird sich dennoch jemand finden, der die Verantwortung für die Regierung des Landes in dieser Situation übernimmt?
„Es gibt kaum eine Möglichkeit, in diesem Parlament eine stabile Regierung zu bilden“, glaubt auch der Jurist und ehemalige Bildungsminister Daniel Waltschew, räumt allerdings ein, dass es in verschiedenen Gesellschaften und Ländern viele Fälle gebe, in denen instabile politische Strukturen relativ lange bestehen bleiben. „Letztendlich hängt es von den politischen Eliten ab, was sie an erster Stelle setzen. Wenn das Land dringende Aufgaben zu lösen hat, wird das Kriegsbeil manchmal begraben und es werden gemeinsame Anstrengungen unternommen, auch wenn es unangenehm ist“, sagt Daniel Waltschew.
Die Erklärungen von den politischen Formationen „Wir setzen die Veränderung fort“ und „Demokratisches Bulgarien“ nicht mit GERB und DPS koalieren zu wollen, machen die parlamentarische Arithmetik außerordentlich kompliziert.
„Die große Frage ist, wie ein Teil der Parteien zu einer von GERB und wahrscheinlich auch von der DPS getragenen Regierung beitreten kann, ohne dass es sich erweist, dass sie ihre politischen Positionen verändert haben“, betont Daniel Waltschew. „Wenn sie sich nicht auf eine Regierung einlassen, werden sie von den Wählern genauso bestraft werden, wie die Partei des Showmasters Slawi Trifonow „Es gibt ein solches Volk“, warnt Waltschew. (Anm. der Redaktion: Diese Partei konnte die Wahlhürde nicht überwinden).
Der Politikwissenschaftler Stanislaw Batchew sieht ein anderes Problem, selbst wenn eine Regierung gebildet werden sollte und das ist die Frage nach der Repräsentativität des Parlaments. „Unsere politische Klasse ist der aktuellen Situation in der Welt nicht gewachsen. Es wird nicht zugelassen werden, dass Bulgarien ein „Durchbruch“ in der Region darstellt. Eine Formel für eine Regierung müsse gefunden werden und dafür gebe es Signale sowohl vom Präsidenten als auch von den Parteien. „Der Fokus wird auf die EU und NATO liegen", sagte der Politologe in einem Interview für BNR-Plowdiw. Ein Problem sei die extrem niedrige Wahlbeteiligung, denn das bulgarische Volk erkenne nicht, dass die politische Klasse in seinem Interesse arbeitet. „Niemand antwortet auf die Frage, was die Zukunft bringen wird“, unterstreicht Stanislaw Batchew.
Die Versuche der ersten politischen Kraft, GERB, durch eine Kontaktgruppe unter Beteiligung von Ex-Präsident Rossen Plewneliew und dem ehemaligen Außenminister Solomon Passi einen Schritt in Richtung Versöhnung mit den anderen Parlamentsparteien zu gehen, werden von ihren Führern und einigen Anylsten eher negativ bewertet.
„Ich erinnere daran, was die Partei „Wir setzen die Veränderung fort“ (PP) unter Rückzug von Bojko Borissow versteht. Borissow sollte ins Gefängnis oder zumindest in Pension gehen und diese Bedingung ist nicht erfüllt“, unterstreicht der Politologe Iwo Indzhow. Er fügt hinzu, dass große Gruppen innerhalb der PP und Demokratisches Bulgarien voraussetzen, um mit GERB zu verhandeln, dass die Partei sich ihrer Führung entledigt, die eng mit Bojko Borissow verbunden ist. Iwo Indzhow weist darauf hin, dass auch mit dem dritten Mandat eine Regierung gebildet werden könnte. Sie werde aber kurzlebig sein und von fließenden Mehrheiten im Parlament abhängen. In diesem Fall sei es besser, Neuwahlen anzustreben, glaubt der Politologe.
„Bis klar wird, wie die Versuche für eine Regierungsbildung ausgehen, werden wir erneut in die Situation geraten, in der im Parlament die politischen Leidenschaften aufgeheizt werden und die Vertreter der Parlamentsparteien versuchen, durch Veränderungen der Wahlregeln ihre Interessen zu realisieren“, prognostizierte die Professorin für politisches Verhalten und Wahlsysteme an der Sofioter Universität Wanja Nuschewa in einem Interview für das BNR-Programm Horizont.
Zusammengestellt von: Joan Kolev
Übersetzung: Georgetta Janewa
Fotos: BGNES
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