Die Bulgaren stehen wieder vor den Wahlurnen. Zum dritten Mal in diesem Jahr müssen sie Abgeordnete für das Parlament wählen. Diese Wahl hat jedoch ein doppeltes Gewicht, denn heute entscheiden die Bürger des Landes zudem, wer in den nächsten 5 Jahren das Amt des Staatsoberhauptes bekleiden wird. Im Wahlkampf, der der heutigen Abstimmung vorausging, wurden jedoch die Leitlinien der Kandidaten für die Staatsmacht nicht klar gezogen. Es fehlte an einer politischen Debatte zu wichtigen Themen für die bulgarische Gesellschaft, wie Gesundheitswesen, Justizreform, Wirtschaft und Einkommen. Viele Analysten beschrieben den Wahlkampf als eine „Kampagne der wütenden Monologe“. Die Kandidaten wollten nicht miteinander reden und die Hauptanwärter nicht einmal an einer Debatte teilnahmen. Wird das die Bulgaren daran hindern, heute eine sichere Entscheidung zu treffen?
„Wir sind es gewohnt, die Demokratie mit Debatten, gegensätzlichen Ansichten und der Diskussion wichtiger Themen in Verbindung zu bringen“, sagt der Sozialpsychologe Dozent Nikolai Dimitrow, der an der Universität „Heiliger Kliment von Ochrid“ und der Neuen Bulgarischen Universität lehrt. „Es ist aber auch so, dass die Anhänger politischer Parteien selbst in den entwickelten demokratischen Ländern vieles mit den Fußballfans gemeinsam haben. Weder die Anzahl der Spiele, die mein Team mit anderen Teams hat, noch die Ergebnisse sind für mich als Fan von Bedeutung. In diesem Sinne nützen die Wahlkampfdebatten wenig, da sie nicht zu einer gravierenden Verschiebung der politischen Schichten führen können.“
Wir können sagen, dass die Bulgaren heute aus zwei Motiven wählen werden: emotional - für die politische Kraft, für die sie in all den Jahren Sympathie empfinden, oder nach dem Prinzip der Protestwahl - auf der Suche nach einem neuen Helden, der die Lage im Land wieder „ins Lot“ bringt. Mann muss jedoch zu bedenken geben, dass diese Wahlen aufgrund der Anhäufung vieler Umstände recht spezifisch sind. „Das größte Problem ist derzeit die epidemiologische Lage in Bulgarien, die sicherlich viele Menschen davon abhalten wird, von ihrem Stimmrecht Gebrauch zu machen“, sagt Dozent Dimitrow. Er sagt voraus, dass man bei diesen Wahlen keine Spitzenwahlbeteiligung erzielen wird. Gleichzeitig damit muss klar zwischen Parlamentswahlen und Präsidentschaftswahlen unterschieden werden:
„Sie unterscheiden sich grundlegend in Bezug auf die Philosophie und die Gewinnung von Wählern. Einige Beobachter behaupten, dass es heute eine etwas höhere Wahlbeteiligung geben könnte, gerade weil die vorgezogenen Parlamentswahlen mit den Präsidentschaftswahlen zusammenfallen. Traditionell sind Präsidentschaftswahlen aus mehreren Gründen bei den Wählern etwas beliebter. Einer davon ist, dass sie weitgehend die einzigen Mehrheitswahlen sind, bei der man seine Stimme einer ganz konkreten Persönlichkeit geben kann.“
An den heutigen Präsidentschaftswahlen nehmen 23 Paare teil, bei denen eine starke weibliche Präsenz beeindruckt. Um den Posten des Staatspräsidenten bewerben sich vier Kandidatinnen und für den des Vizepräsidenten insgesamt 14.
Wie sieht in den Augen der Bulgaren der ideale Kandidat für das Präsidentenamt aus?
„Zu meinem großen Bedauern ist die bulgarische Gesellschaft diesbezüglich nach wie vor recht traditionell“, sagt der Sozialpsychologe. „Die erste Bedingung, die man an einen Kandidat stellt ist, dass es ein Mann sein muss. Die zweite Bedingung, der er genügen muss – der Kandidat muss charismatisch sein. Drittens, muss er aktiv sein und eine eigene Haltung vorbringen, unabhängig davon, auf welche Weise er sie verteidigt. In diesem Sinne wird man erkennen müssen, dass viele der Kandidaten diesen Bedingungen gerecht werden.“
Welche Auswirkungen wird die Stimmabgabe im Ausland haben?
„Die Bulgaren im Ausland sind ein sehr interessantes Phänomen; sie können einen Wahlkandidaten durchaus zum Stolpern bringen“, sagt Dozent Nikolai Dimitrow. „Wir haben das bereits bei den letzten Wahlen gesehen, dass für einige Parteien bedeutend mehr Stimmen aus dem Ausland kamen, für andere wiederum drastisch weniger als in Bulgarien.“
Übersetzung und Redaktion: Wladimir Wladimirow
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