Für Bulgarien stehen die dritten Parlamentswahlen in diesem Jahr und die regulären Präsidentschaftswahlen an. Welche Hoffnungen auf eine stabile parlamentarische Mehrheit bestehen, die zur Bildung einer Regierung führen kann, beschäftigt weiterhin die bulgarische Öffentlichkeit.
Im Gegensatz zu den Wahlen im April und Juli wird die Abstimmung am 14. November jedoch von der steigenden Inflation überschattet.
Diese Tatsache sowie die gleichzeitige Durchführung von Parlaments- und Präsidentschaftswahlen erschweren die Prognosen zum Wahlverhalten der Bulgaren enorm.
In einem exklusiven Interview für Radio Bulgarien stellte der Politikwissenschaftler und Dozent an der Universität der kanadischen Hauptstadt Ottawa, Prof. Iwajlo Gruew, seine Beobachtungen zum Geschehen in unserem Land, wenn auch aus einer Entfernung von mehr als 7.000 Kilometern dar. Darin brachte er seine Befürchtung zum Ausdruck, dass die Zeit der politischen Unruhen und Instabilität nach den Wahlen am 14. November andauern werde.
„Bulgarien ist über 1300 Jahre alt. Wir haben viele glänzende Jahrhunderte erlebt, in denen es uns gelungen ist, eine stabile Staatlichkeit aufzubauen. Leider sehe ich heute in der bulgarischen politischen Elite im Umgang mit international mächtigen Akteuren wie Washington, Brüssel, Moskau und Ankara nicht die nötige Weitsicht und politische Reife“, bedauert Gruew.
Neben seiner Fähigkeit, die politischen Prozesse zu analysieren, ist Prof. Gruew auch ein versierter Dichter. Davon zeugt sein Buch „Das fünfte Siegel“, in dem sich der Vers finden lässt, in dem der Wahlkampf mit einem „mit viel Geld und Menschen organisierten Feiertag“ verglichen wird.
Die Frage, welcher der Anwärter auf den Wahlsieg den Politologen gewinnen könnte, ist noch offen. Was aber in unserem Land auf dem Feld der Politik passiert, ist für Iwajlo Gruew eher peinlich als dass er Verständnis oder Zustimmung dafür aufbringen könne.
„Die Drehbuchautoren von der Partei „Es gibt ein solches Volk“ haben mit ihrem Verhalten und dem, was sie erreicht haben, das unbestreitbare Talent von Woody Allen übertroffen. Was die neue politische Formation um die ehemaligen stellvertretenden Minister Kiril Petkow und Assen Wassilew betrifft, so ist die Wahrheit, dass sie jung, sympathisch und gebildet sind. Mit ihrer Arbeit in den letzten 4 Monaten haben sie vorgemacht, wie die Korruption bekämpft werden kann. Bezüglich der Formulierung „politisches Projekt“ für ihre Partei, habe ich meine Zweifel“, sagte der Politologe, für den es so scheint, als wäre diese Formation irgendwie von „oben“ gekommen und nicht aus den Reihen der Menschen, die für Veränderung protestiert haben. „Der zweite wichtige Punkt bezieht sich auf die Klärung des Begriffs Anständigkeit, den Kiril Petkow und Assen Wassilew bei der Gründung ihrer Partei als das Maß für die Auswahl ihrer Kandidaten für die Parlamentswahlen genannt haben. Was ist damit gemeint, auf wen oder was trifft sie zu und wie soll sie realisiert werden, diese Anständigkeit“, fragt Iwajlo Gruew und stellt fest, dass strategische Fragen für Bulgarien auf eine Stellungnahme seitens der beiden Führer der neuen Formation warten - was denken sie über die Drei-Meere-Initiative, wie ist ihre Haltung zur Istanbul-Konvention, die Zukunft der Kohleindustrie im Kontext des Green Deals und wie realistisch ist Bulgariens Beitritt zur Eurozone vor dem Hintergrund einer Pandemie.
Ob die ehemaligen Minister im ersten Übergangskabinett dem Beispiel der politischen Akteure aus der jüngsten Vergangenheit wie Simeon von Sachsen-Coburg und Gotha und Bojko Borissow folgen und zu Lieblingen des Volkes werden, bleibt abzuwarten. „Auf alle Fälle sind wir Zeugen dessen, dass an die neuen politischen Führer erneut sehr große Hoffnungen geknüpft werden, die wir schon einmal beim Aufstieg des Königs und des Generals gesehen haben“. Was die Frage anbelangt, ob die Wähler Lehren aus der Vergangenheit gezogen haben, liegt die Antwort darin, dass die Suche nach dem nächsten nationalen Retter munter weitergeht, sagte der Politologe lakonisch. „Ich weiß nicht, ob der Grund für dieses Phänomen in den 500 Jahren Fremdherrschaft liegt, aber es hat wahrscheinlich etwas damit zu tun“, analysiert Prof. Iwajlo Gruew. "Einfluss auf das Verhalten und die Einstellung der Menschen zu ihrem Umfeld hat auch die vom Sozialismus geerbte Erwartung, dass der Staat verpflichtet ist, für einen zu sorgen", ist der Politologe kategorisch.
Übersetzung: Georgetta Janewa
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