Wie geht es nach den Parlamentswahlen am 4. April weiter? Über diese Frage zerbrechen sich derzeit Politologen und Analysten in Bulgarien die Köpfe.
Für alle Beobachter war es im Voraus klar, dass diese Wahlen auf Grund der Covid-Pandemie ungewöhnlich und schwer sein werden. Die Erwartungen, dass die Wähler sich fürchten werden, zu den Wahlurnen zu gehen, haben sich jedoch nicht erfüllt. 46.9 % der bulgarischen Wahlberechtigten haben von ihrem Stimmrecht Gebrauch gemacht. Unsere Landsleute im Ausland haben sogar eine noch nie dagewesene Aktivität gezeigt, deren reale Ausmaße erst noch bewertet werden müssen.
„Für mich ist das unwahrscheinlich! Wir werden noch lange die Wahlergebnisse bewerten. Das Wichtigste bei diesen Wahlen war die enorme Mobilisierung der Gesellschaft“, sagte in einem Interview für den BNR Rumjana Detschewa, stellvertretende Vorsitzende des Öffentlichen Rates an der Zentralen Wahlkommission, in dem 14 Nichtregierungsorganisationen vertreten sind.
Das Abstimmungsergebnis hat Bulgarien in eine neue politische Situation gebracht, in der viele Analysten ein Scheitern der beiden größten Parteien sehen - der regierenden GERB und der wichtigsten parlamentarischen Opposition BSP. Dem vorläufigen Ergebnis zufolge ziehen 6 politische Formationen in das Parlament ein. Keine der Parteien und Koalitionen hat aber eine Mehrheit. Aufgrund dieser starken Fragmentierung der politischen Kräfte sind die Schlussfolgerungen bezüglich des Willens und der Erwartungen des Volkes äußerst vielfältig.
"Die Schlussfolgerung aus den Wahlen ist, dass die Krise, die im Sommer 2020 ausgebrochen ist, sich weiter fortsetzt", sagte die Historikerin Prof. Iskra Baewa in einem Interview für den BNR. "Natürlich ist es überraschend, dass sich GERB von der schweren Krise erholt hat und erneut erste politische Kraft ist, doch das ist ein bitterer Sieg. Die Mehrzahl der Wähler haben für die Veränderung gestimmt, doch auf eine solche Weise, die keine klare Alternative bietet“, unterstreicht Prof.Baewa und weist auf das Unbekannte hin, dass die Wahlergebnisse formiert haben. „Aus den Erklärungen der Parteiführer geht hervor, dass keine normal funktionierende Koalition gebildet werden kann.“
Laut Jordan Nichrisow, Vorsitzender der Bulgarischen Sozialdemokratischen Partei, habe der Tag der Reflexion bereits begonnen, der nach den Wahlen folgt. Ihm zufolge sind diese Wahlen nur ein Auftakt für die nächsten gewesen, bei denen sich das Hauptproblem klar herauskristallisieren wird, ob wir in einer parlamentarischen oder einer Präsidentenrepublik leben wollen.
GERB ist 12 Jahre an der Macht und es ist nicht besonders schwer, jetzt dieser Partei alle Negativa in die Schuhe zu schieben, insbesondere während der Krise in Wirtschaft und Gesundheitswesen, sagt Georgi Harisanow vom Institut für rechte Politik.
„Wenn die Wähler es gewollt hätten, dass sich GERB zur Ruhe setzt, dann hätten sie es mit ihrer Wahl gezeigt. Die Bildung einer Regierung hängt von Bojko Borissow und allen ab, die darüber sprechen wollen, welche die wichtigen Dinge für die kommenden Monate sind. Ist es wichtiger, dass GERB an der Macht bleibt oder Neuwahlen organisiert werden“, sagt Georgi Harisanow und fügt hinzu, dass jetzt die Partei „Es gibt ein solches Volk“ nicht mehr ein mysteriöses politisches Projekt mehr ist, sondern eine parlamentarisch vertretene Partei.
Im Land dominiert die Wahl für die Opposition, sagte der Soziologe Kantcho Stojchew in einem Interview für den BNR. Das Verhältnis von 2:1 vom Sommer zugunsten der oppositionellen bulgarischen Wähler ist geblieben und ist bei den Wahlen deutlich geworden, sagt Stojtschew. Ihm zufolge ist die Wahrscheinlichkeit von Neuwahlen erheblich: "Neuwahlen sind unvermeidlich. Die Frage ist, ob sie vor den Präsidentschaftswahlen von einem geschäftsführenden Kabinett organisiert werden, oder danach."
Harte Verhandlungen zur Regierungsbildung in Bulgarien werden auch von den internationalen Nachrichtenagenturen vorhergesagt. Die Associated Press schreibt, dass die Unterstützung für den bulgarischen Premierminister nachgelassen habe. Für den Premierminister Borissow werde es jetzt schwierig sein, an der Macht zu bleiben, da die Parteien gegen das System und die Korruption, die einen Rücktritt des Premierministers fordern, stärker unterstützt werden, kommentiert Reuters. "Bulgarien ist blockiert" schlussfolgert die ARD.
Die österreichische Nachrichtenagentur APA erklärt, dass die Protestparteien in Bulgarien es nicht geschafft haben, sich gegen den Status Quo zu vereinen und fasst zusammen: "Nach den Wahlen heißt vor den Wahlen."
Der Spiegel warnt davor, dass die erwartete schwierige Bildung einer neuen Regierung in Sofia zu Problemen bei der Zuweisung von Mitteln aus den europäischen Fonds führen könnte, um die Auswirkungen der Pandemie zu überwinden, was die wirtschaftliche Erholung des ärmsten Landes in der EU verzögern werde.
Elena Karkalanowa fasste die Interviews für den BNR zusammen.
Übersetzung: Georgetta Janewa
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