Die ärmsten 20 Prozent der Bevölkerung in Bulgarien sind in Bezug auf Covid-19 einer größeren Gefahr ausgesetzt als die reichsten 20 Prozent. Das mahnen Analysten vom Institut für Sozial- und Gewerkschaftsforschung an der Konföderation der unabhängigen Gewerkschaften Bulgariens (KNSB). Diese Gefahr umfasst hauptsächlich medizinische Risiken zu, aber nicht nur sie allein. Ärmere Haushalte können sich nicht vollwertig um ihre Gesundheit kümmern. Oft leiden die Menschen an Begleiterkrankungen, so dass sie sich unter die Risikogruppen reihen. Sie bleiben mit einer niedrigeren Bildung und das Risiko, den Arbeitsplatz zu verlieren, ist bei ihnen höher. So entstehen auch wirtschaftliche Voraussetzungen, dass diese Haushalte noch ärmer werden als sie es vor der Covid-19-Krise schon waren.
Die Gesundheitskosten der Haushalte sind im Vergleich zu ihren Einkommen unverhältnismäßig hoch. Sie verursachen die sogenannten „gesundheitlichen Ungleichheiten“, die bei Menschen mit Einkommen unterhalb der Armutsgrenze besonders stark ausgeprägt sind. Das erklärte in einem Interview für den Bulgarischen Nationalen Rundfunk der Wirtschaftsexperte der KNSB Ljuboslaw Kostow. Er berief sich dabei auf Informationen des Nationalen Statistikamtes.„Die medizinische Krise stellt die Menschen und ihre Einkommen vor viele Herausforderungen. Das ist bereits deutlich zu erkennen. In den letzten Jahren haben die Menschen durchschnittlich ca. 30 Prozent ihres Einkommens für Gesundheitsausgaben aufgewendet – für Medikamente, Krankenhausaufenthalte, ärztliche Untersuchungen, medizinische Behandlung. Und das gilt für Menschen mit mittlerem Einkommen in der Zeit vor der Krise. Wenn wir uns aber die Bulgaren ansehen, die nur den Mindestlohn oder die Mindestrente beziehen, dann ist das Problem weitaus gravierender. Bei ihnen steigt der Prozentsatz für Gesundheitsausgaben auf 50 Prozent bis 118 Prozent an. Sprich: Wenn man eine Rente von 300 Lewa bezieht und krank wird, muss man 118 Prozent davon für Medikamente, Behandlung, einen Krankenhausaufenthalt verwenden.“
In dieser Situation greifen Menschen mit einem niedrigen Einkommen auf schnelle oder andere Arten von Verbraucherkrediten zurück, um ihre unmittelbaren Behandlungskosten decken zu können. Und das war in unserem Land bereits lange vor Covid-19 der Fall. Gegenwärtig decken sich die Bürger mit Medikamenten ein, führen verschiedene Untersuchungen und Tests durch und all das sind hohe Kosten für einen bulgarischen Haushalt. „Daher werden diese 30 Prozent für medizinische Versorgung bei Menschen mit mäßigen Einnahmen im nächsten Jahr wahrscheinlich auf 60-80 Prozent ihres Monatseinkommens klettern. Und die Menschen mit niedrigen Einkommen werden immer mehr Kredite aufnehmen müssen. Oft helfen ihnen die Kinder und Verwandte mit Geld aus, damit sie überleben können. Worten von Ljuboslaw Kostow zufolge wird das ein weiteres Problem sein, mit dem die bulgarische Gesellschaft konfrontiert wird: die Probleme mit den Ungleichheiten zu lösen, die aufgrund der Gesundheitskrise entstanden sind.
Aus den Studien des Instituts für Sozial- und Gewerkschaftsforschung der KNSB über den Lebensunterhalt im dritten Quartal dieses Jahres geht hevor, dass zwei Drittel der Haushalte in unserem Land mit einem Gesamteinkommen pro Person leben, das unter dem notwendigen Lebensunterhalt liegt. Die Gruppe der Armen hält sich in etwa auf dem gleichen Stand wie im vorangehenden Quartal. Im Vergleich zum Dezember 2019 jedoch hat die Zahl der Armen in Bulgarien um ca. 200.000 Menschen zugenommen. Gewerkschaftsexperten zufolge ist dies einerseits auf die Anhebung der Armutsgrenze und die Ausweitung der Haushalte zurückzuführen, andererseits aber auch auf die Tatsache, dass die Corona-Pandemie die ärmsten Menschen am härtesten getroffen hat. Das Coronavirus verschärft die Ungleichheiten, da während der Pandemie schlecht bezahlte und gering qualifizierte Arbeitskräfte als erste ihren Arbeitsplatz verloren haben.
„Bulgarien hat ohnehin seit Jahren Probleme in Sachen Ungleichheiten. Derzeit werden die Dinge wegen der Pandemie aber noch schlimmer. Und dies wird im Frühjahr zu sehen sein, wenn die Daten von Eurostat veröffentlicht werden. Für mich ist das sehr besorgniserregend. Wir sollten uns wirklich Gedanken darüber machen, jenen Menschen zu helfen, die einen Großteil ihres Einkommens für Behandlungskosten aufwenden müssen“, betonte der Wirtschaftsexperte der Konföderation der unabhängigen Gewerkschaften Bulgariens (KNSB) Ljuboslaw Kostow.
Übersetzung: Rossiza Radulowa
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