Am 13. Tag der Proteste in Bulgarien, in denen der Rücktritt von Ministerpräsident Bojko Borissow und Generalstaatsanwalt Iwan Geschew gefordert wird, muss das Parlament über den 5. Misstrauensantrag gegen die Regierung der GERB-Partei abstimmen. Die Debatten dazu fanden am Vortag vor dem Hintergrund einer Protestaktion vor dem Parlamentsgebäude statt, die unter dem Motto „Belagerung des Parlaments. Alle raus!“ lief.
Junge und gebildete Menschen sind auf die Straße gegangen
Iwo Indschow, Experte auf dem Gebiet der politischen Kommunikationen, zeichnete von den Protestierenden folgendes Profil: junge Menschen im Alter zwischen 20 und 26 Jahren, Studenten aus dem In- und Ausland, Leute, die ein eignes Geschäft haben oder freiberuflich tätig sind, junge Familien. „Ihre grundlegende Beziehung zu den Prozessen in Bulgarien, zum vereinnahmten Staat, die Korruption, die Beziehungen der Oligarchie zur politischen Macht basieren auf das, was sie im Ausland gesehen haben, als die dort gelernt haben, oder was sie in den sozialen Netzen über die Ereignisse in den europäischen Ländern, den USA und der ganzen Welt erfahren haben“, sagt Indschow in einem Interview für den BNR und setzt fort: „Das sind glänzend informierte Menschen, die gebildet sind, kritisch denken, mobil sind und aller Wahrscheinlichkeit nach keiner Partei angehören. Man kann sie also keinesfalls mit der Kontroverse Kommunismus-Antikommunismus in Verbindung bringen. Sie möchten einfach nur in einem normalen Land leben bzw. in ein solches zurückkehren.“
Protestierende gegen alle korrupten und mit der Oligarchie verflochtenen Parteien
Diese Einschätzung bestätigt der aktiv Teilnehmer an den Protesten Martin Petruschew. Er ist von der Energie der Menschen begeistert und davon überzeugt, dass das kollektive Bewusstsein der Bulgaren erwacht ist und Intoleranz gegenüber den Missständen im Land zeigt. „Wir wollen eine umfassende Justizreform und Freiheit der Medien, an erster Stelle jedoch eine endgültige Beseitigung der korrupten und mit der Oligarchie verflochtenen Parteien aus der Macht – „Bulgarische Sozialistische Partei“, „Bewegung für Rechte und Freiheiten“ und GERB“, sagte Martin Petruschew in einem Interview für den BNR.
Wird die Stimme der Protestierenden gehört werden?
„Die Frage ist, ob man die Bürger erhören wird oder ob sich bestimmte Politiker weiterhin an ihren Amtssessel klammern werden, ohne sich für die Meinung der Menschen zu interessieren“, sagte seinerseits vor Journalisten des BNR Borislaw Sandow, Umweltschützer und Politiker aus den Reihen der „Grünen Bewegung“. Seiner Ansicht nach würden die Regierungspolitiker nicht adäquat auf die gerechten Proteste reagieren, was auch zur Radikalisierung der Proteste geführt habe. Im Zusammenhang damit rief der Universitätsprofessor Ljudmil Georgiew die jungen Menschen auf, wachsam zu sein und sich nicht von der einen oder anderen Partei ausnutzen zu lassen. Sie sollten besser eine eigene Formation bilden und sich mit ihr an der Leitung des Staates beteiligen, ohne jedoch eine Partei zu gründen.
Laut dem Soziologen Andrej Rajtschew könne es nicht zu einem Dialog zwischen den Protestierenden und der Regierung kommen, da beide Seiten die gesellschaftspolitische Wirklichkeit auf verschiedene Weise auslegen.
Gretchenfrage: Was wird nach Bojko Borissow kommen?
„So kann es nicht weitergehen; die große Frage ist jedoch, was die Menschen konkret wollen“, meint Michail Mikow, Mitglied des Nationalrates der „Bulgarischen Sozialistischen Partei“, die den Misstrauensantrag gegen die Regierung von Bojko Borissow gestellt hat. Er hob hervor, dass es auch ohne Bojko Borissow die GERB-Partei „mit allen Besonderheiten des Einflusses der Wahlen“ geben werde. Die Frage bestehe darin, was an die Stelle der jetzigen Regierung treten werde und ob es danach eine bessere Gesundheitsfürsorge und Bildung, mehr Ehrlichkeit und weniger Korruption geben werde, hob Mikow vor Journalisten des BNR hervor und setzte fort: „Heute protestieren junge und gebildete Menschen. Was wird jedoch passieren, wenn jene 200 oder 300 Tausend armen Arbeitnehmer oder die Rentner auf die Straße gehen, die im Monat mit 250 Lewa (ca. 128 Euro) auskommen müssen? Das sind Fragen, auf die jede politische Partei eine klare Antwort geben muss: Was wird nach dem Sturz von Borissow mit den Renten geschehen? Was wird mit der Arbeitslosigkeit passieren? Das sind die großen Fragen, denen jeder aus dem Weg geht, was ein großes Risiko in sich birgt“, meint Michail Mikow.
„Das Misstrauensvotum ist hypothetisch eine Möglichkeit, die die Opposition positiv für sich nutzen könnte. Es ist jedoch sehr unwahrscheinlich, dass der Musstrauensantrag Erfolg hat“, prognostiziert Dr. Alexander Dimitrow, Politologe und Lehrer an der Universität für nationale und Weltwirtschaft. Ob die Opposition Erfolg haben wird, oder die Regierung nach ernsten Umbesetzungen bis Ende ihres Mandats im Amt bleibt, wird demnächst klar werden.
Redaktion: Elena Karkalanowa
Übersetzung: Wladimir Wladimirow
Fotos: Ani PetrowaBulgarien wählt am Sonntag, den 9. Juni, das 50. Parlament des Landes. Es sind die sechsten vorgezogenen Parlamentswahlen innerhalb von zweieinhalb Jahren. Dieses Mal fallen sie mit der Wahl des neuen Europäischen Parlaments zusammen, für das Bulgarien..
Griechenland identifiziert 83 Jahre später 18 NS-Opfer Achtzehn Zivilisten, die während des Zweiten Weltkriegs auf der griechischen Insel Kreta hingerichtet wurden, konnten 83 Jahre später durch DNA-Analysen im Labor für Paläogenomik und..
Die mazedonisch-orthodoxe Kirche steckt im Streit um den Namen Mazedonien und die Erzdiözese Ochrid fest Die mazedonisch-orthodoxe Kirche hat sich in den Streit um den Namen „Mazedonien“ eingeschaltet. Das Oberhaupt der Kirche, Erzbischof Stefan,..