Über dem Eingang einiger Konzentrationslager brachten die Nazis die zynische Aufschrift „Arbeit macht frei“ an. Ohne jegliche Ironie und mit den Tränen bittersten Realismus konnten in Bulgarien während des Zweiten Weltkriegs viele bulgarische Juden gerade durch ihre Mobilisierung in den sogenannten Arbeitstruppen gerettet werden. Dieses Thema stand im Fokus wissenschaftlicher Rundtischgespräche, die vom Institut für Geschichtsforschung der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften organisiert wurden. Wegen neu errichteten Denkmälern in Bulgarien mit der Widmung „Den Juden von den Arbeitsgruppen, Opfer des Holocausts 1941-1944", liefen die Diskussionen unter dem Motto „Jüdischer Arbeitsdienst während des Zweiten Weltkriegs - Rettungsplan oder Repressionsmaßnahme".
Der stellvertretende Bildungsminister Petar Nikolow eröffnete das Forum mit den Worten, die Rettung der bulgarischen Juden sei nicht auf epische Weise erfolgt, sondern sei dem unmittelbaren Einsatz vieler Bulgaren zu verdanken, von denen jeder seinen ganz eigenen Weg gefunden habe, um zu helfen.
„Die Bulgaren haben ein sehr klares Verständnis für Nächstenliebe und dafür, wie man seine Mitmenschen und Brüder behandeln sollte“, betonte Petar Nikolow. „Egal welche Mode aus der Welt zu uns kommt, welche Ideologie dominiert: Wenn es um Menschenschicksale geht, neigen die Bulgaren dazu, einfach nur human zu sein. Menschenliebend, vernünftig zu bleiben. Die wahre Würde der Bulgaren ist ihr gesunder Menschenverstand. Genau der gesunde Menschenverstand der Bulgaren hat die bulgarischen Juden gerettet, egal was in jenen Jahren in der großen Weltpolitik auch immer gesagt wurde.“
Den Hauptbericht hat Oberst Prof. Dimitar Nedjalkow von der Militärakademie „G. S. Rakowski ” abgehalten. Darin beruft er sich auf unveröffentlichte Dokumente aus dem Militärarchiv. Ihnen zufolge wurde der jüdische Arbeitsdienst vollständig im Einklang dem Gesetz über die Militärkräfte aus dem Jahr 1940 eingerichtet, welches die Lebens- und Arbeitsbedingungen aller im Arbeitsdienst und im Militär mobilisierten Personen regelt. Im Jahr 1944 waren die Bautruppen 90.000 Mann stark, 12.000 oder 15 Prozent von ihnen waren Juden. Ohne den von einzelnen Individuen im System bezeugten Judenhass kleinreden zu wollen, konnte letzten Endes das Leben Tausender bulgarischer Juden gerettet werden, die mit ihren Taten ihre große Verbundenheit zum bulgarischen Staat und zum bulgarischen Volk immer wieder neu bewiesen hatten.
„Die Bautruppen waren das Instrument, mit dem die bulgarischen Juden gerettet wurden“, erläutert Prof. Dimitar Nedjalkow. „Diese Bemühungen hatten systematischen Charakter. Die Rettung der bulgarischen Juden ist kein Verdienst eines bestimmten Personenkreises. Begonnen beim König (Zar Boris III.) als Oberbefehlshaber über den Befehlshaber der Armee, den Befehlshaber der Bautruppen bis hin zum Kommandostab und den einzelnen Bausoldaten. Der Großteil der bulgarischen Juden hat seinen Wehrdienst in den Bautruppen abgeleistet. Und das gilt nicht nur für bulgarische Staatsbürger jüdischer Herkunft. Bis 1945 hatte fast eine halbe Million bulgarischer Bürger die Bautruppen durchlaufen. Aber ich war wirklich sehr überrascht, dass ich im Militärarchiv Dokumente von extrem wichtiger Bedeutung gefunden habe, die unversehrt waren.“
„Selbst wenn man sich die Dokumente nur flüchtig durchliest, wird einem klar, dass die Kommandeure der Bautruppen hauptsächlich darum bemüht waren, diese Menschen auf bestmögliche Weise zu schützen. Bereits zu Beginn des Jahres 1941 in Bezug auf die Juden ausdrücklich festgehalten, dass sie die gleichen Rechte und Pflichten haben wie alle anderen auch. Trotz des verabschiedeten Gesetzes über den Schutz der Nation wurde das Gesetz über die Streitkräfte aus dem Jahr 1940 nicht abgeändert, sondern in seiner ursprünglichen Form belassen. Und alles, was den Wehrdienst der bulgarischen Bürger angeht, von denen einige jüdischer Herkunft waren, wurde mit dem Gesetz über die Streitkräfte in Einklang gebracht“, so Prof. Nedjalkow. „Die Rettung der bulgarischen Juden ist einzigartig. Es gibt kein anderes Land, das an eine derart große Zahl von Menschen vor von außen geforderten Repressionen bewahrt hat.“
Die Organisation der Juden in Bulgarien „Schalom“ hat Einwände gegen die Interpretation der von den Gelehrten zitierten Tatsachen und Dokumente eingewendet. Alec Oscar, Vorsitzender von „Schalom“, sagte in einem Interview für den Bulgarischen Nationalen Rundfunk, man arbeite derzeit an einer Erklärung an den Vorsitzenden der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften (BAN). Darin wird die BAN angehalten, sich ausdrücklich von den während des nationalen Runden Tisches vertretenen Ansichten zu distanzieren.
Übersetzung: Rossiza Radulowa
Fotos: Staatsagentur „Archive“ und Iwo Iwanow
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