In China, in dem sich der Mondkalender weiterhin großer Beliebtheit erfreut, beginnt an diesem Sonntag (25.01.) das Jahr der Ratte - das erste Zeichen des chinesischen Tierkreises.
Bevor die Bulgaren im 9. Jahrhundert zum Christentum übergingen, benutzten auch sie einen Kalender, der wie der chinesische anscheinend auf den gleichen östlichen Traditionen fußte. Auch bei den Bulgaren fing der 12jährige Jahreszyklus mit dem Jahr der Maus an – in der Sprache unserer Vorfahren „Samor“.
Aus mythologischer Sicht versinnbildlichte die Maus die chthonischen, also irdischen, besser gesagt: die unterirdischen Kräfte. Die alten Bulgaren waren davon überzeugt, dass unreine Kräfte und Dämonen die Gestalt von Mäusen annehmen können. Das galt gleichermaßen für Haus-, wie für Feldmäuse, die seit uralten Zeiten sehr große Schäden an Saat und Vorräten anrichten können. Bis heute nagen sie gern an Nahrungsmitteln, Bekleidung und vielen anderen Dingen, die ihnen schmackhaft erscheinen.
Mäusen mit übernatürlichen Mitteln bekämpfen
„Wenn alle gewöhnlichen Maßnahmen gegen diese Plagegeister versagen, greifen die Bauern zu übernatürlichen Mitteln“, schrieb Ende des 19. Jahrhunderts der Ethnograph Dimitar Marinow und zitiert den Glauben, dass die Maus „ein kleiner Geist ist, der nicht anders besiegt werden könne, als mit Bitten und Beschwichtigungen“. Zu Ehren der Mäuse organisierte man in Vorzeiten ganze Feste, sogenannte Mäusetage. In den verschiedenen Landesgebieten feierte man den Mäusetag zu unterschiedlicher Zeit. In Mittel- und Nordbulgarien stand der Mäusetag mit dem Tag des heiligen Nestor, am 27. Oktober, in Verbindung. In Ostthrakien feierte man den Mäusetag am Tag der heiligen Katherina am 24. November, denn dort gilt sie als Schutzherrin der Nagetiere. In anderen Landesteilen wiederum wurde der Mäusetag vor Weihnachten begangen - dies ist nämlich die Zeit der Dämonen und der bösen Geister. Die Mäuse wurden oft nicht nur an einem Tag gefeiert, sondern an drei oder gar sieben Tagen. Die Rituale, die man an diesen Tagen vollführte, dienten dazu, die lästigen Nagetiere zu vertreiben. So z.B. bestrichen ältere Frauen mit verbundenen Augen die Feuerstelle rundherum mit Ton sowie die Mäuselöcher und die vier Ecken der Stube. Damit wurden die Augen der Mäuse symbolisch verschlossen. In Ostthrakien hingegen wurde den Mäusen die Mäuler „zugenäht“, indem ein Stück eigens benähten Tuches ins Feuer geworfen wurde. An den Mäusetagen durften diese Tiere nicht beim Namen genannt werden; man bezeichnete sie mit ganz anderen Namen. Auch durfte an diesen Tagen keine Wolle bearbeitet und keine spitzen Werkzeuge benutzt werden. Die Truhen für die Gewänder blieben verschlossen; das galt auch für die Vorratsschränke.
„Mäusehochzeiten“ anstatt Rattenfänger
An den Mäusetagen, aber auch zu anderen Anlässen wurden sogenannte „Mäusehochzeiten“ abgehalten. Man fing zwei Mäuse – ein Weibchen und ein Männchen, kleidete sie wie Braut und Bräutigam und trug sie in einem Korb hinaus in den Wald, wo man sie freiließ. Man glaubte, dass ihnen eine ganze „Hochzeitsgesellschaft“. bestehend aus Mäusen, folgen werde. Nach diesem Ritual setzten sich die Dorfbewohner zu einem Hochzeitsmahl zusammen.
In den Häusern, in denen die Mäusefeste eingehalten werden, gibt es keine Mäuse, sagte man einst. Und falls sich doch noch eine Maus blicken ließ, so meinte man, dass jemand heimlich etwas aus dem Haus heraustragen würde, die Schwiegertöchter ihre Schwiegermütter verhöhnen, die Schwiegersöhne nicht auf den Schwiegervater hören, oder die jüngeren Generationen uneins seien.
In den Volksmärchen gelten die Mäuse als mutige und schlaue Tiere, die aber auch zu Übermut neigen. Zu sehr armen Menschen sagt man bis heute, sie seien „arm wie eine Kirchenmaus“. „Guckt wie eine Maus aus der Kleie“ sagt man zu jemanden, der nicht weiß, wie er reagieren soll, nachdem er unangenehm überrascht worden ist.
Mäuse im Traum
Die alten Bulgaren meinten, dass wenn jemandem eine Maus im Traum erscheinen sollte, das Sorgen bedeute - man würde Freunde verlieren. Falls man ihr im Traum nachjagen sollte, so könne man etwas Gutes erwarten. Falls man sie fangen sollte, erwarte einem ein Erwerb. In diesem Licht betrachtet, erscheinen die kleinen lästigen Nager nun doch etwas sympathischer und kommen der chinesischen Tierkreis-Ratte nahe, unter der wir nach fernöstlichem Kalender bis zum 11. Februar 2021 leben müssen.
Übersetzung und Redaktion: Wladimir Wladimirow
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