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Bulgariens Vizepräsidentin Iljana Jotowa in einem Interview für Radio Bulgarien: Die Trägheit in der EU ist gefährlicher als die Reformen

Im Dorf Krynytschne, Ukraine

Vizepräsidentin Iljana Jotowa ist kategorisch, dass je einfacher das Verfahren für den Nachweis der bulgarischen Herkunft ist, desto weniger Fälschungen es geben wird. Sie bedankte sich für die Möglichkeit, vor Radio Bulgarien zu sprechen, das auch für die im Ausland lebenden Bulgaren sendet, die zu den Prioritäten der ihr unterstehenden Institution gehören.

Vizepräsidentin ist Iljana Jotowa seit zwei Jahren. Zu ihren Vollmachten gehören neben den Kontakten mit den bulgarischen Gemeinschaften im Ausland, die Vergabe der bulgarischen Staatsbürgerschaft, die Gewährung von Zuflucht und der Erlass von Freiheitsstrafen.

Bevor Iljana Jotowa zur Vizepräsidentin gewählt wurde, war sie drei Mandate im Europäischen Parlament. Ihre Arbeit zum Thema Europa setzt sie heute in den Studentenlabors „Europa“ fort, in denen bulgarische Jugendliche über  das europäische Projekt und ihre Erwartungen diskutieren.

„Für jeden ist es offensichtlich, dass wir uns momentan an einem Kreuzweg befinden.Es geht um die Frage, ob wir das europäische Projekt weiterentwickeln, oder uns von der Strömung tragen lassen. Ich bin der Ansicht, dass die Trägheit gefährlicher ist als Reformen vorzunehmen, egal in welcher Richtung. Von den künftigen EU-Abgeordneten wird erwartet, dass es Politiker mit einer Vision sind. Sie sollten versuchen, weiter hinauszublicken als nur auf die nationalen Probleme und entscheiden wie sich die europäischen Institutionen und die europäische Politik weiterentwickeln sollen, um das Vertrauen der europäischen Bürger zurückzugewinnen“, unterstreicht Iljana Jotowa.

Ihrer Ansicht nach sollte die Bekämpfung der Armut an erster Stelle stehen. Auch 10 Jahre nach der letzten Wirtschaftskrise gebe es immer noch keine politische Antwort, bedauert Jotowa. „Zunächst war es sicher logisch, die großen Unternehmen zu retten, die Arbeitsplätze sichern. Doch jetzt muss endlich auch an das Leben der einzelnen europäischen Bürgers gedacht werden“, fordert Jotowa.

Eines der internen Probleme Bulgariens ist die demografische Krise. Der Staat versucht eine Lösung durch das Heranziehen von Bulgaren, die im Ausland leben und bietet Möglichkeiten für Studium und Arbeit an. Die Vizepräsidentin organisierte vor kurzem mehrere Studentenlabors, um die Perspektiven für eine Entwicklung nach dem Studium in Bulgarien aufzuzeigen. Dazu wurden die fünf führenden bulgarischen Universitäten eingeladen, die für im Ausland lebenden Jugendlichen mit bulgarischen Wurzeln Stipendien stiften.

„Diese jungen Menschen kommen aus armen Regionen und müssen eine Reihe von Schwierigkeiten überwinden, um in Bulgarien studieren zu können. Ich würde mir wünschen, dass die bulgarischen Universitäten stärker für ihre Einrichtungen werben, denn die Konkurrenz der rumänischen, serbischen und russischen Universitäten ist sehr groß, wenn es darum geht, Studenten aus dem bessarabischen Teil Moldaus und der Ukraine zu gewinnen. 250 Jahre hat diese historische Diaspora überlebt. Als Staat könnten wir die Nachkommen der bessarabischen Bulgaren unterstützen, in Bulgarien zu lernen und zu studieren und es wäre eine Schande, wenn uns das nicht gelingt“, vermerkt Vizepräsidentin Jotowa, die bereits zu Beginn ihres Mandats die Idee lanciert hat, nach dem Vorbild von Kulturinstituten wie das Goethe-Institut, British Council, Instituto Servantes und das Französische Kulturinstitut ein Bulgarisches Kulturinstitut zu gründen, dessen grundlegendes Ziel die Verbreitung der bulgarischen Sprache, die Popularisierung der historischen Errungenschaften und kulturellen Werte Bulgariens sein sollte.

„Es geht um eine Kulturinstitution, die nicht nur das Erlernen der bulgarischen Sprache fördert, sondern auch die bulgarischen Schulen im Ausland, Lesungen über die alte und moderne bulgarische Kultur. Denn es ist wichtig, dass Bulgarien Bekanntheitsgrad als ein Land mit sehr alten Traditionen in Europa und einem reichen kulturellen und historischen Erbe erlangt.“

Auf einem Treffen in Warna mit Studenten aus bulgarischen Gemeinschaften im Ausland

Die bulgarische Staatsbürgerschaft ist ein Thema, das für das Auditorium von Radio Bulgarien sehr wichtig ist, insbesondere für die Balkanstaaten wie Albanien, Serbien und Nordmazedonien. Die Vizepräsidentin Iljana Jotowa erklärte dazu, dass bis Ende Juli feststehen werde wie das Gesetz über die bulgarische Staatsbürgerschaft vereinfacht werden könne.

„Ich persönlich bin der Ansicht, dass die Anforderung, seine bulgarische Herkunft nachzuweisen, entfallen muss. Dieser Nachweis wird von der bulgarischen Diaspora erteilt. Der bulgarische Staat kann diesen Prozess nicht kontrollieren und es wird oft Missbrauch betrieben. Deshalb denke ich persönlich, dass das Allerwichtigste Kriterium das Beherrschen der bulgarischen Sprache ist, wenn jemand die bulgarische Staatsbürgerschaft auf Grund seiner bulgarischen Herkunft  beantragt“, unterstreicht Iljana Jotowa.

Am Vorabend des 24. Mai, an dem das slawische Schrifttum und die bulgarische Kultur und Bildung gefeiert werden, vermerkt die bulgarische Vizepräsidentin, dass sie Zeuge von „nationalem Protektionismus in vielen europäischen Staaten ist, die die Rolle Bulgariens bei der Erhaltung des Werks von Kyrill und Method und der kyrillischen Schrift verschmähen.“

In der bulgarischen Sonntagsschule in Budapest

Deshalb sollten wir nicht müde werden zu wiederholen, dass es keinen höheren Gipfel in der europäischen Geschichte gibt als das Goldene Zeitalter von Zar Simeon. Das geben die Wissenschaftler in ihren Büchern zu, doch wir als Bulgaren schaffen es nicht den Bürgern Europas und der Welt zu erzählen, empfiehlt die Vizepräsidentin.

„Obwohl der bulgarische EU-Vorsitz in vielerlei Richtungen ein Erfolg war, gibt es auch einen Nachteil und der ist, dass wir diese sechs Monate nicht ausreichend genutzt haben, um zu zeigen wer wir sind, woher wir kommen und wie viel wir für Europa geleistet haben. Deshalb sehe ich es als die Aufgabe eines jeden Bulgaren an zu erzählen, nicht nur darüber, was Bulgarien heute ist, sondern auch was Bulgarien einmal war. Denn in der Vergangenheit sollten wir auch die Zukunft suchen.“

Übersetzung: Georgetta Janewa

Fotos: Privatarchiv


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