Andächtig sitzt sie im dunklen Zuschauersaal und schaut mit großen Augen zu den Schauspielern auf der lichtüberfluteten Bühne auf. Sie hat sich voll den feinen Schwingungen geöffnet, die den Künstler inspiriert haben, sein Werk zu kreieren. Antoaneta-Maria Stojanowa teilt ihr Leben zwischen der kleinen Familienbuchhandlung im Dorf Branipole bei Plowdiw und den Theatersälen auf. Diese betritt sie jedes Mal voller Ehrfurcht und freudiger Erregung, nachdem sie im Nationaltheater in Sofia die Aufführung „Velourssakko“ von Stanislaw Stratiew gesehen hat. Seitdem trägt sie einen ganz besonderen Duft in Erinnerung – den der Bühne, die ihrer Auffassung nach wie ein Tempel riecht.
„Bereits beim ersten Mal, als ich auf der Bühne des Nationaltheaters stand, hatte ich das Gefühl, als würde ich den Fuß in ein Gotteshaus setzen. Damals hat mich die Direktorin Frau Slatka Banewa dazu animiert. Also habe ich meine Schuhe ausgezogen und die Bühne betreten. Das war vor der Aufführung des Theaterstücks „Freiheitskämpfer“, die im Angedenken an Petar Popjordanow zum 20. Mal gespielt wurde. Damals habe ich buchstäblich die Worte gespürt – das Spiel, die vielen Aufführungen, die Schauspieler, die mit Leib und Seele bei der Sache sind“, erinnert sich Antoaneta-Maria Stojanowa.
Seit nunmehr sieben Jahren weiß sie zunehmend mehr Pilger für das Theater zu begeistern – ihre Gruppe von reisenden Zuschauern, die die Sofioter Theater besuchen, wird immer größer. „Wenn man diese magischen Momente mit mehr Leuten teilt, ist das etwas sehr Starkes und Schönes“, meint Antoaneta-Maria Stojanowa. Anfangs hatte sie ein paar Freunde davon überzeugt, mit ihr ins Theater zu gehen, danach waren neun treue Theaterbesucher mit einem Kleinbus nach Sofia unterwegs, letzten Monat stiegen sage und schreibe 118 Personen aus zwei Bussen vor dem Nationaltheater aus. Antoaneta-Maria Stojanowa organisiert alles persönlich, sie kauft die Tickets, sichert den Transport und opfert oft ihren gesamten Umsatz aus der Bücherei dafür auf. Und ihre Opferbereitschaft blieb nicht unbemerkt. Nicht von ungefähr hat ihr der Regisseur Alexander Morfow einen seiner renommierten Askeer-Preise verliehen. Er überreichte ihr die Statuette mit den Worten: „Für deine Welt, die Du erschaffen hast!“ Allerdings meint Antoaneta-Maria Stojanowa, sie würde diese Auszeichnung nicht verdienen.
„Weil andere Menschen viel mehr vollbringen. Das, was ich tue, ist nur ein kleines Staubkörnchen“, meint sie bescheiden. „Ich möchte, dass die Leute in diesen schweren Zeiten etwas Echtes erleben. Und dann sehe ich, wie sie sich freuen, wie sie auf der Rückreise im Bus singen. Man kann sich kaum vorstellen, was für ein Hochgefühl es ist, wenn 50 Personen das Lied „Weißes Pferd“ (aus dem Stück „Freiheitskämpfe“) anstimmen. Das Erlebte gibt ihren einen neuen Sinn, sie zehren noch sehr lange davon. Wochen nach dem Besuch einer Aufführung rufen sie mich an, um sich bei mir zu bedanken und mir zu sagen, dass sie eine solche Magie noch nie verspürt haben. Es gibt Leute im Alter von 50-60 Jahren, darunter auch Ärzte, Rechtsanwälte, die das Nationaltheater noch nie gesehen und besucht hatten. Wenn wir dort sind leite ich sie an, was sie sich anschauen und durchlesen sollten. Und die Treffen mit den Schauspielern nach der Aufführung erst! Sie stehen stundenlang im Rampenlicht, gaben beim Spiel ihr Bestes und sind noch nicht vollkommen aus der Rolle gefallen – welch ein Glück, sie zu berühren, zu umarmen, sich mit ihnen zu fotografieren und ihre Nähe spüren zu können“, schwärmt Antoaneta-Maria Stojanowa.
In ihrer Buchhandlung hat sie eine Ecke mit Erinnerungsstücken eingerichtet, die sie „Theateraltar“ genannt hat. Dort sind unter anderem die Fotos des großen Welko Kanew zu sehen sowie ihres Lieblingsschauspielers Petar (Tschotscho) Popjordanow. Dessen Tod hat sie derart erschüttert, dass sie ihm etliche Zeichnungen und ein Poem gewidmet hat, bei dem jedes Wort mit seinem Buchstaben „P“ beginnt. Welchen von ihnen stellt sie aber auf das Podest, wollten wir von ihr wissen.
„Oh, das geht nicht an – ich betrachte sie alle als ein Ganzes. Alexander Morfow ist für mich jedoch der Größte. Jeder, der Kontakt zu ihm hatte, weiß wovon die Rede ist. Egal was man auch von ihm reden mag, es ist eine absolute Glanzleistung, dass seine Aufführung 16 Jahre lang gespielt wird und der Saal immer wieder voll ist. Das spricht für sich. Es gibt Stücke, die sorgen zwar für Schlagzeilen, werden dann aber ein Jahr lang gespielt und vom Spielplan genommen. Nicht so bei Alexander Morfow und seinen Stücken. Das Publikum verlässt ganz aufgewühlt den Saal, denn sie sorgen nicht nur für eine Gänsehaut bei ihnen, sondern gehen ihnen ans Herz und hinterlassen Spuren“, sagt Antoaneta-Maria Stojanowa.
In wenigen Monaten werden die Theater-Pilger bestimmen, welcher Schauspieler ihre Fan-Statuette verdient. Momentan bereiten sie sich aber auf ihre nächste „Pilgerfahrt“ vor – den Besuch des Theaterstücks „Flugversuch“ im Nationaltheater. Und wieder wird Antoaneta-Maria Stojanowa im dunklen Saal inmitten ihrer Freunde im Theatersessel versinken und voller Andacht auf das nächste Bühnenstück warten. „Dort fühle ich mich wohl. Ich bin viel zu klein, um auf der Bühne zu stehen“, sagt sie.
Übersetzung: Rossiza Radulowa
Fotos: Privatarchiv
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