Geschrieben in einer archaischen, ausdrucksstarken und bildhaften Sprache, gibt der „Nordwestroman“ sehr treffend die Realität in der am meisten zurückgebliebenen Region Bulgariens wieder – mit den ausgestorbenen Dörfern, in denen das Leben einer Handvoll Senioren langsam erlischt, mit den immer gespenstischer anmutenden Städten, wo es keinen Broterwerb für die Einheimischen gibt. Zugleich liefert er auch ein umfassenderes Bild von Bulgarien der Gegenwart, abseits der wenigen „Inseln der Stabilität“, wie der Autor zu bezeichnet.
Stojan Nikolow-Torlaka hat seinen Roman auf dem Dialekt geschrieben, auf dem man in Nordwestbulgarien spricht, weil er am besten die Lebenshaltung der Menschen seiner Heimatgegend wiedergibt. Und auch, weil nur das Aufgeschriebene erhalten bleibt. Das Buch streift aber nicht allein an der Oberfläche entlang. Es zeigt nicht etwa irgendwelche ungehobelte Leute mit einer blumigen Ausdruckweise, sondern geht in die Tiefe und deckt das tiefe und facettenreiche Gemüt der Nordwestbulgaren auf.
„Die Schmähreden und der grobe Umgang sind nur auf der Oberfläche“, sagt der Autor. „Darunter liegen jahrtausendealte Schichten, ein extrem reiches Kulturfundament und eine grundverschiedene Weltbild. Die Nordwestbulgaren sind sehr direkt, ehrlich und offenherzig. Sie würden jedem helfen, egal ob sie ihn kennen oder nicht, werden aber auch nicht mit ihrer Meinung hinter dem Zaun halten, sich verstellen oder ein Blatt vor den Mund nehmen. Sie sehen zuweilen sogar furchterregend aus. Wenn man sie untereinander streiten sieht, hat man den Eindruck, als hätte man es mit sehr rohen, unwirschen und ewig mürrischen Leuten zu tun. Das entspricht jedoch nicht der Wahrheit, obwohl sie aufrichtig und geradeheraus sprechen und handeln – ohne sich zu verbiegen und zu heucheln.“
Ob die blumige Sprache der Nordwestbulgaren ihr Gemüt und ihre Originalität geformt hat oder umgekehrt - ihre Ausdrucksweise die Wesensart der Menschen spiegelt?
„Die Sprache ist zum Großteil erhalten geblieben, da diese Region, ähnlich wie die Zentralen Rhodopen, der Raum um Tran und das Strandschagebirge aus rein geographischen Gründen ziemlich isoliert sind“, meint Stojan Nikolow-Torlaka. „Deshalb haben sich diese Worte im Laufe der Jahrhunderte geformt und bestimmen die Mentalität der Menschen. Es stimmt zwar, dass die Menschen die Worte erschaffen, aber die Ausdrucksweise wiederum charakterisiert die Menschen und deren Sichtweise. So gesehen sind in diesem konkreten Fall Huhn und Ei das Gleiche.“
Stojan Nikolow hat sich den Spitznamen Torlaka zugelegt, weil sein Vater dieser ethnischen Gruppe angehört, die im Raum Belogradschk, Tschiprowzi, Berkowiza lebt und er selbst in Montana geboren wurde und seine Sommerferien im Dorf Goweschda verbrachte. Obwohl der Schriftsteller seine Heimatgegend weiterhin sehr liebt, hat auch er diese zurückgebliebene und verödete Region in Bulgarien aus wirtschaftlichen Gründen verlassen.
„Die Hauptursache dafür ist, dass der Nordwesten zu sozialistischen Zeiten als eine Art Versuchslabor herhalten musste und alle toxischen Industrien dorthin verlegt wurden“, erklärt der Schriftsteller. „Die Leute mussten ihre kleinen Ortschaften verlassen, um in den Betrieben zu arbeiten und als nach der Wende dieselben Betriebe sich als ineffizient erwiesen haben und geschlossen wurden, hatten sie Menschen keinen Broterwerb mehr. Die landwirtschaftlichen Nutzflächen wurden im ganzen Land zusammengetan und sind buchstäblich in den Hände einiger Familien konzentriert. So muss man auch heute, wenn man einen Job in Nordwestbulgarien haben will, Lohnarbeiter werden. Die Gehälter werden aber künstlich sehr niedrig gehalten. Aus diesem Grund ziehen die Menschen, die keine Wurzeln mehr haben, in die Großstädte oder wandern ins Ausland aus“, sagte abschließend Stojan Nikolow-Torlaka.
Übersetzung: Rossiza Radulowa
Fotos: Privatarchiv
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