Das Oberste Verwaltungsgericht hat den Regierungsbeschluss über den Mindestlohn von 230 Euro ab 1. Januar 2017 aufgehoben. Bis dato lag der Mindestlohn bei 210 Euro. Gegen das Urteil kann in vierzehntägiger Frist Berufung eingelegt werden. Fast zeitgleich stellte die Regierung offiziell bis 2020 die alljährliche Anhebung des Mindestlohns um 25 Euro pro Jahr in Aussicht. Das Gericht begründete sein Urteil damit, dass der Regierungsbeschluss vorab nicht mit allen Sozialpartnern, konkret mit den Arbeitgeberorganisationen besprochen worden sei. Jetzt wird die Regierung gegen dieses Urteil in Berufung gehen, die Arbeitgeber von der Rechtmäßigkeit des Beschlusses überzeugen und diesen erneut bestätigen. Zum Schluss kommt heraus, dass das Gericht den Mindestlohn senkt, die Regierung ihn anhebt.
Der auf den ersten Blick ganz normale Rechtsstreit steht stellvertretend für die bulgarische Volkswirtschaft und ihre Probleme. Laut offiziellen Angaben beziehen zwölf Prozent der Beschäftigten im Land den Mindestlohn, für den sie die entsprechenden Versicherungsbeiträge abführen. Ihre Reallöhne liegen jedoch deutlich höher und werden unter dem Tisch bar auf die Hand gezahlt, zu Lasten der Versicherungssysteme. Man sagt sich: "Lieber mehr Geld heute, als eine höhere Rente morgen. Wer weiß, ob ich überhaupt so alt werde." Für dieses Gebaren eines Großteils der Beschäftigten in Bulgarien gibt es eine Erklärung. Der Mindestlohn ist so gering, dass niemand vernünftig damit leben könnte. Er reicht nicht einmal, um alle Nebenkosten eines normalen bulgarischen Haushalts, plus Lebensmittel und Transport zu bezahlen. Von einem Auto, Reisen, Markenkleidung, Kultur und Büchern ganz zu schweigen.
Andererseits sind die Arbeitgeber nicht gewillt, draufzuzahlen, da ihnen diese Sozialabgaben sehr zur Last fallen. Experten beziffern sie mit 40 Prozent des Reallohns, d.h. ein Gehalt von 1.000 Euro kostet dem Arbeitgeber 1.400 Euro. Das ist unangemessen und für viele kleine und mittlere bulgarische Betriebe nicht tragbar. Deshalb ist das Business gegen die alljährliche automatische Anhebung des Mindestlohns, wie es die Regierung plant. Das verheißt alljährlich schwierige Verhandlungen und stellt die auf dem Papier guten Absichten des Kabinetts in Frage. Zumal die Unternehmen mit Personalkürzungen und mehr Arbeitslosigkeit drohen, falls die Regierung ihre Pläne umsetzen sollte. Die Indexierung der Löhne und Gehälter müsse an die Produktivität gekoppelt werden, so die Arbeitgeber.
Andererseits kurbelt der steigende Mindestlohn den Konsum an, und damit den wichtigsten Wachstumsmotor der letzten und vermutlich auch der kommenden Jahre. Jetzt muss die Regierung die Unternehmen mit konkreten Maßnahmen überzeugen, dass dieses auf den ersten Blick unvorteilhafte Geschäft gewinnbringend ist. Was genau die Regierung den Arbeitgebern vorschlagen will, ist unklar, da die Ansprüche der Geschäftskreise zahlreich und das Kabinett entscheiden muss, welche im Interesse der Gesellschaft sind.
Übersetzung; Christine Christov
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