Nach dem Regierungsrücktritt wird das Kabinett bis zur Einsetzung einer neuen Regierung, höchstwahrscheinlich einer Interimsregierung, die Amtsgeschäfte weiterführen. Unklar ist auch das Schicksal staatlicher Aufträge in Milliardenhöhe, da sich die Frage stellt, ob das zurückgetretene Kabinett Zeit haben wird, sich den angelaufenen Prozeduren zuzuwenden. Allerdings geht es hier nicht nur um eine Zeitfrage, sondern auch darum, inwieweit die restlichen politischen Kräfte in der Lage sind, ihre eigenen Lobbyinteressen durchzusetzen.
So galt beispielsweise die Konzession für den Flughafen Sofia als das größte Geschäft des Jahres, das der Staatskasse 280 Millionen Euro bringen sollte. Dieses Geld war als Finanzspitze für die stark angeschlagene Staatsbahn gedacht. Jetzt wurde klar, dass es bis Jahresende keinen Vertragsabschluss geben wird, da das Verkehrsministerium die Antragsfrist zweimal verlängert hat und die Angebote nun bis 14. Dezember eingereicht werden können. Die Sozialisten (BSP) haben sich bereits gegen die Konzessionsvergabe für den Flughafen ausgesprochen und werden alles daran setzen, das Vergabeverfahren platzen zu lassen. Auch die Gewerkschaften sind dagegen. Gleiches gilt für Ryanair, die größte Billigfluggesellschaft Europas, die seit geraumer Zeit in Bulgarien im Geschäft ist.
Auch die Anschaffung neuer Militärtechnik ist in Frage gestellt. Das Team von Verteidigungsminister Nikolaj Nentschew hatte zwei der teuersten Projekte zur Modernisierung der bulgarischen Streitkräfte im Visier – die Anschaffung eines neuen Kampfjet-Typs für ca. 770 Millionen Euro sowie von zwei neuen Patrouillenbooten für weitere 420 Millionen Euro. Das Finanzministerium hat die Kosten bereits abgesegnet und im Budget für das laufende Haushaltsjahr verankert. Dafür braucht es jedoch die Zustimmung des Parlaments, welcher vor seiner Auflösung steht.
Selbst Abgeordnete aus der GERB-Partei hatten Vorbehalte gegen den Kauf von neuen Schiffen angemeldet. Seitens der Patriotischen Front geht man sogar davon aus, dass bereits klar sei, wer bei der geplanten Auftragsvergabe den Zuschlag erhalten soll. Auch die geplante Anschaffung von Panzern für die Landstreitkräfte im Wert von 500 Millionen Euro steht in der Warteschlange.
Das Milliardenprogramm zur „kostenlosen“ Sanierung von Wohnblöcken steht ebenfalls in Frage. Bis dato sind 4.000 Sanierungsanträge aus allen Teilen des Landes eingegangen, von welchen 2.918 Wohnblöcke die Finanzierungszusage für insgesamt ca. 500 Millionen Euro erhalten haben. Unklar ist, ob und wie viele Mittel die zurückgetretene Regierung zur Kostendeckung an die Bulgarische Entwicklungsbank überweisen wird. Die Bank rechnet mit einer Tranche von rund 500 Millionen Euro. Dabei ist es von enormer Bedeutung, ob sich GERB an seine Zusagen hält und die entsprechenden Mittel bereitstellt.
Auch die Einführung einer Straßenmaut ist fraglich. Seit Frühjahr 2016 versucht die Regierung, den Auftrag zu vergeben. Allerdings wurde das 100- Millionen-Euro-Geschäft bereits dreimal durch Berufungsverfahren von Firmen blockiert und wird bis Jahresende wohl kaum über die Bühne gehen. Die Sozialisten sind prinzipiell für die Einführung einer Straßenmaut, hatten jedoch etwas gegen die Vergabemanier. Das Tollsystem sollte ihrer Ansicht nach zuvor im Parlament debattiert werden, was nicht der Fall war.
Auch die Verteilung von 1,5 Milliarden Euro für EU-finanzierte Autobahnen und Schienenwege duldet keinen Aufschub. Gleiches gilt für diverse Wasserwirtschaftsprojekte für 300 Millionen Euro etc., etc.
So sind mit dem Kabinettsrücktritt milliardenschwere Investitionsprojekte und Aufträge zu einer Hängepartie des Regierungsvakuums geworden. Die Umsetzung dieser Vorhaben hängt davon ab, wie pragmatisch die politischen Kräfte in dieser Zeit vorgehen werden.
Übersetzung: Christine Christov
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