„Wenn wir von unserer nationalen Wiedergeburt und den Persönlichkeiten sprechen, die ihr Antlitz geprägt haben, folgen wir oft eingefahrenen Mustern und Lehrbuchweisheiten. Dabei verlieren wir leicht jene Lektionen aus den Augen, die wir nach der Befreiung Bulgariens von der türkischen Fremdherrschaft hätten lernen müssen. Wir glauben, viel über unsere Wiedergeburtszeit zu wissen. Wenn wir aber ehrlich sind, müssen wir zugeben, dass uns eigentlich recht wenig darüber bekannt ist. Wir stufen die Aufklärer nach alter Gewohnheit als erster, zweiter etc. Wegbereiter ein, ohne uns in ihre konkreten Leistungen und wahren Verdienste zu vertiefen“. Das sagte in einem Interview für Radio Bulgarien Prof. Plamen Mitew, der an der Sofioter Universität „Hl. Kliment von Ochrid“ Geschichte unterrichtet. Wir nahmen den 1. November, den Tag der bulgarischen Aufklärer zum Anlass, um uns mit ihm über eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der bulgarischen Wiedergeburtszeit zu sprechen – Sofronij von Wraza (1739- 1813).
Die Bulgaren verbinden den Beginn der nationalen Wiedergeburt mit der „Slavo-bulgarischen Geschichte“. 1762 hat sie der Athosmönch Paisij aus dem Hilendar-Kloster (1722-1773) fertig geschrieben. Einer seiner Nachfolger ist Sofronij von Wraza, der seinen Erstlehrer bei weitem übertroffen hat. Paisij hat in seiner Klosterzelle im Zographos-Kloster das erste bulgarische Ranaissance-Werk verfasst. Lange Zeit war seine „Slavo-bulgarische Geschichte“ aber so gut wie unbekannt. Erst in den 1870er Jahren wurde dank der Forschungsarbeit von Marin Drinow populär. Sofronij von Wraza aber hat einen wesentlichen Beitrag zum geistigen Erwachen seiner Zeitgenossen geleistet, ist Prof. Plamen Mitew überzeugt.
„Sofronij von Wraza hat nicht nur zwei Abschriften der „Slavo-bulgarischen Geschichte“ gemacht, sondern ist auch Autor von mehr als 10 Handschriften, wobei seine beiden Widin-Sammelbände von besonders großer Bedeutung sind. Im zweiten wendet er sich an seine Kirchengemeinde und hält sie an, ihr Geld nicht an Kloster zu stiften, sondern es für weise Lehrer auszugeben, damit sie den Kindern Wissen vermitteln, das sich andere europäische Völker bereits angeeignet und in ihrer politischen Geschichte angewandt haben“, sagt Prof. Mitew und weiter:
„In den Jahren 1803-1808 hat Sofronij von Wraza einige sehr wertvolle Texte übersetzt. Er hat ein Buch über die drei monotheistischen Religionen geschrieben – über das Judentum, das Christentum und den Islam, die zur Vielfalt auf dem Balkan und in bulgarischen Landen beitragen. Er hat auch das populäre „Theatron politicon“ von Ambrosius Marlianus übersetzt. Es handelt sich dabei um eine Abhandlung über die politischen Modelle in den einzelnen Staaten. Auf diesem Weg haben die Bulgaren erfahren, welche Arten von Staaten es gibt. Als das Volk sich zum Befreiungskampf rüstete, versuchte Sofronij von Wraza, der künftigen politischen Elite des Landes die besten Erfahrungen der Menschheit nahe zu bringen, damit sie diese auch nutzen können“, erzählt Prof. Mitew.
Das Werk von Sofronij von Wraza „Kiriakodroumion siretsch Nedelnik“, das 1806 erschienen ist, gilt als das erste bulgarische Buch, das in der neubulgarischen Sprache gedruckt wurde. Bis zur Befreiung war es das Buch mit den meisten Auflagen in Bulgarien - insgesamt sechs an der Zahl. „Es gab keine bulgarische Kirche, in der nicht mindestens ein Exemplar dieses Buches vorhanden wäre, denn es wurde während des Gottesdienstes von allen bulgarischen Geistlichen genutzt“, sagt Prof. Mitew. 1811 hat Sofronij von Wraza in einem Brief an General Michail Kutusow, der während des russisch-türkischen Krieges (1806-1812) den Befehl über die russische Armee führte, die Forderungen der Bulgaren in einem ganzheitlichen politischen Programm dargelegt:
„Sofronij von Wraza schlägt die Schaffung einer bulgarischen Autonomie vor, in der die Bulgaren über ihre Naturschätze verfügen, freien Handel treiben, unterschiedliche Gewerbe ausüben und Fabriken bauen können und ein eigenes Bildungswesen organisieren. Besagte Autonomie sollte an der Donaumündung sein, wo sich einst die erste Siedlung Ongal der Protobulgaren von Khan Asparuch befand. Sofronij sah die Möglichkeit vor, dass sich später auch neue bulgarische Territorien daran angliedern“, erklärt Prof. Mitew.
„Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war Sofronij von Wraza ein überzeugter Aufklärer. Er rechnete der Lösung der bulgarischen Frage gute Chancen aus und versuchte, seine Landsleute bei der Umsetzung dieser Idee mit Rat und Tat zu unterstützen. Er verstarb ein Jahr nach der Unterzeichnung des Friedensvertrags von Bukarest (1812). Sein Nachlass hat aber tiefe Spuren in der bulgarischen Geschichte hinterlassen und er wird von allen geehrt, die sein Werk und seinen Beitrag für die Zukunft Bulgariens zu schätzen wissen“, sagte abschließend der Geschichtsprofessor Plamen Mitew.
Übersetzung: Rossiza Radulowa
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