Am Vorabend unseres Nationalfeiertags am 6. September, 131 Jahre nach der Vereinigung zwischen dem Fürstentum Bulgarien und Ostrumelien, haben wir zufällige Passanten im Sofioter Stadtpark angehalten und wollten von ihnen wissen, was ihrer Ansicht nach die heutigen Bulgaren vereint.
„Die Bulgaren sind entzweit. Unsere Landsleute sind ein bisschen stur und Einzelgänger. Diese Überlebensstrategie von früher erschwert unsere Konsolidierung heutzutage“, meint die junge Christina.„Wir sind Individualisten, was an sich positiv ist, aber unserer Vereinigung im Wege steht. Letzten Endes hängt aber alles vom einzelnen Menschen und seiner Denkweise ab, ganz egal ob es sich dabei um einen Bulgaren oder einen Ausländer handelt.“
„Ich fühle mich als Teil eines Bundes, wir sind immerhin in der EU“, sagt der 39jährige Iwan Kantschew. „Schließlich ist alles subjektiv, jeder hat seine eigene Meinung. Das ist aber das Gute an Demokratie und Pluralismus. Jeder darf eigene Ansichten vertreten. Trennen sollte uns das nicht. Individuelles Denken und eine eigene Meinung sind vielmehr Voraussetzungen, um nach Gemeinsamkeiten und Verbundenheit zu suchen. Die Angst vor den Migranten ist ein weiteres Motiv für unseren Zusammenschluss.“
“Das, was uns vereint, sind unsere Nationalität, unsere Kunst, die gemeinsamen Werte und Traditionen. Andere Faktoren bringen uns auseinander. Meiner Ansicht werden wir von unseren Staatsmännern falsch regiert, was für Angst unter den Leuten sorgt. Natürlich sind wir zum Teil selber daran schuld, weil wir unsere Politiker gewählt haben. Ich bin aber zuversichtlich, dass sich die Dinge zum Besseren wenden. Wir Bulgaren sollten seriöser werden und uns interessieren, was für Leute uns regieren“, meint wiederum Kalin.
„Die Liebe vereint uns“, ist der Teeanager Dejan überzeugt. „Als Ganzes sind wir aber ziemlich getrennt. Wenn wir eine gemeinsame Sache haben, können wir uns zusammenraufen und daraus profitieren. Heutzutage denkt aber jeder nur an sich, die Leute sind Egoisten geworden. Alles dreht sich nur um das Geld und die Arbeit, die Väter kennen nicht einmal ihre eigenen Kinder, weil sie den ganzen Tag über auf Arbeit sind und keine Zeit für ihre Familie haben. Man zeigt in den Nachrichten, wie die Leute auswandern und fragt warum? Weil es den Leuten hier nicht zusagt und sie ihr Leben nicht meistern können. Die Hälfte der Unternehmer, die ein eigenes Geschäft starten, scheitert. Unser Land ist wunderschön, wir haben eine tolle Natur, Meer, Berge, alles, was das Herz begehrt, nur keinen starken Staat. Aber ich liebe Bulgarien“, gesteht Dejan.
„Die Bulgaren sind leider uneinig“, bedauert die 78jährige Lehrerin Ilka Gatewa. „Was mag wohl der Grund dafür sein? Vielleicht ist es das Geld. Jeder ist nach dem eigenen Wohlstand aus, und die nationalen Interessen geraten ins Hintertreffen. Als Lehrerin habe ich die Schüler zu Patriotismus erzogen. Ich habe ihnen die Literatur aus der Wiedergeburtszeit nahe gebracht. Ich war stets darauf bedacht, den Kindern Liebe zu Bulgarien einzuflößen. Heutzutage spricht niemand mehr von Heimatliebe. Die Politiker scheint es nicht weiter zu bekümmern, dass die jungen Leute auswandern und das ist extrem gefährlich. Falls man Voraussetzungen schafft, damit sie wieder nach Bulgarien zurückkehren, könnte sich die Lage radikal ändern. Sie werden jene Zivilisation und Mentalität nach Hause bringen, die auch wir einst hatten, im Laufe der Zeit aber eingebüßt haben“, sagte abschließend die Lehrerin Ilka Gatewa.
Übersetzung: Rossiza Radulowa
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