Eigentlich ging es um die ausbleibende Präsidentschaftskandidatur der regierenden GERB-Partei, als Ministerpräsident Borissow in einem Fernsehinterview mit besorgter Miene verkündete: "Bulgarien befindet sich in einer sehr komplizierten geopolitischen Lage." Damit wollte er die Zuschauer darauf vorbereiten, dass der nächste Staatschef als Oberbefehlshaber der Armee die Sicherheit des Landes verkörpern soll, und vermutlich sieht er sich selbst in dieser Rolle. Ob Borissow am 6. November selbst antritt oder nicht, ist noch Zukunftsmusik. Gegenwärtig ist er aber dabei, in einen geopolitischen Strudel hineinzurutschen, aus dem er weder als Regierungschef, noch als Präsident ohne Kratzer und Dellen herauskommen kann.
In dieser Woche kam es zum mit Spannung erwarteten Treffen zwischen dem russischen Präsidenten Putin und dem türkischen Staatschef Erdogan. Auf der Tagesordnung, wenn auch indirekt, standen neben den bilateralen Meinungsverschiedenheiten und den gemeinsamen Wirtschaftsinteressen auch die künftige Ausrichtung beider mächtigen Staaten. Im Fall der Türkei geht es um nichts weniger, als um die Fortsetzung der EU-Beitrittsverhandlungen, die seit 53 Jahren stocken, wie auch um die Rolle des mächtigen Nato-Bündnispartners. Nach Sankt Petersburg schauten aber nicht nur Brüssel und Washington, sondern auch Sofia. Denn in Sankt Petersburg ging es auch um Energie.
Wie eigentlich für alle Länder, ist für Bulgarien die Energieversorgung ein Schlüsselmoment. Mehr noch – für Bulgarien ist sie von entscheidender geopolitischer Bedeutung, wenn man bedenkt, dass das Land sein Energiebedarf zu 95 Prozent aus Russland bezieht. Diese Energieabhängigkeit missfällt unter anderem den westlichen Partnern Bulgariens dies- und jenseits der Atlantik. Diese Abhängigkeit ist auch die simple Erklärung dafür, dass die bulgarischen Regierungen seit vielen Jahren einen Zickzack-Kurs in der Energiepolitik fahren, in Abhängigkeit dessen, ob eine sozialistische, d.h. pro-russische, oder eine konservative, also pro-westliche Regierung an der Macht ist.
Als der frühere Sozialistenchef Parwanow vor über 14 Jahren Staatspräsident wurde, setzte er sich übereifrig für sein, wie er es selbst nannte, "Grand Slam der Energiepolitik" ein. Gemeint sind drei große russische Energieprojekte: das Atomkraftwerk bei Belene an der Donau, die Gaspipeline South Stream und die Erdölleitung Burgas-Alexandroupolis. Keines dieser drei Großprojekte ist umgesetzt. Dagegen liefen aber nicht nur die Konservativen in Bulgarien Sturm, sondern auch die USA und die EU. Der konservative Ministerpräsident Borissow war zunächst ebenfalls auf der Seite der Projektgegner. Auf einer Konferenz mit amerikanischen Geschäftsleuten in Sofia erklärte er sogar voller Stolz und in der Hoffnung auf Lob aus Washington: "Wir haben drei große russische Projekte gestoppt und stoppen russische Kampfjets über dem Schwarzen Meer." Am Vorabend des Treffens zwischen Putin und Erdogan wechselte er jedoch die Seiten. Unter Einhaltung des EU-Rechts wolle Bulgarien nun doch das Atomkraftwerk bauen, die Pipeline South Stream aus der Eiszeit holen und sogar die Leitung für russisches Erdöl von der bulgarischen Schwarzmeerküste an die Ägäis wiederbeleben.
Die Wende ist nur mit der sich abzeichnenden Konkurrenz aus dem vermeintlichen Pakt zwischen Russland und der Türkei auch in der Energiepolitik zu erklären. Denn kämen die zerstrittenen Moskau und Ankara überein, würde Bulgarien auf der Verliererseite stehen. In Sankt Petersburg war die Rede von einem neuen Atommeiler in der Türkei, der als regionaler Stromversorger völlig ausreichend wäre. Mit dem Meiler in Belene will Bulgarien unterm Strich seine Stromexporte erhöhen und somit Geld verdienen. Zudem ist das umstrittene Atomkraftwerk bei Belene inzwischen so teuer geworden, dass es sich weder Bulgarien, noch Russland leisten können.
Beim Sankt Petersburger Treffen ging es auch um die Alternative zum South-Stream-Projekt, den TurkStream. Diese Erdgasleitung würde dem Traum Bulgariens als regionaler Gasverteiler ein bitteres Ende bereiten. Russlands Präsident Putin erklärte nach seinen Gesprächen mit Erdogan, Moskau wisse Bescheid über die Absichten Bulgariens, das South-Stream-Projekt wieder in Angriff zu nehmen, aber Russland habe bereits viel Geld darin investiert und verloren, und fordere deshalb "betonfeste" Garantien. Das hört sich nicht unbedingt nach einer Zusage an. Und gegen die Erdölleitung Burgas-Alexandroupolis hatten sich noch vor Jahren die Einwohner entlang der Schwarzmeerküste lautstark ausgesprochen. Sie würden wieder auf die Barrikaden ziehen, und Bulgariens Regierungschef Borissow mag es so gar nicht, wenn die Bürger gegen ihn protestieren.
Nun hat er sich selbst in Schwulitäten gebracht, die leider so typisch für die bulgarische Politik sind. Denn Kontinuität wird in unseren Breiten wohl nicht groß geschrieben. Für Borissow selbst wäre die Präsidentschaftskandidatur ein möglicher Ausweg, denn seine Wahl gilt als sicher, sollte er antreten. Dann bliebe offen, wer die heißen Kartoffel aus dem Feuer holt.
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