Das Christentum verleugnet das Heidentum. Nicht selten jedoch gäbe es zwischen heidnischen und christlichen Stätten interessante Zusammenhänge, die nicht systematisch erforscht und analysiert seien. Das zumindest behauptet Dozent Ljubomir Zonew vom Institut für Festkörperphysik.
"Auf dem Land kommen mir häufig Legenden zu Ohr, laut welchen irgendjemand geträumt habe, dass irgendwo eine Reliquie verborgen sei. Am besagten Ort fand man dann wirklich etwas und errichtete eine Kapelle", meint Ljubomir Zonew. "Aufgrund der hohen Zahl solcher Fälle hat der Zufall hier eher keine Rolle gespielt. Meiner Ansicht nach fußt das auf der Erinnerung der Bevölkerung an heilige Stätten aus der Vergangenheit."
Ein Beispiel für derartige Erscheinungen ist der Kreuzstein unweit der Stadt Küstendil an der Grenze zu Mazedonien. Dabei handelt es sich um ein zwei Meter hohes Kreuz, das aus massivem Felsgestein gehauen wurde. Das Kreuz fiel um und zerbrach beim Aufprall auf den Felsen. Ljubomir Zonew machte sich auf, um den Ort zu inspizieren.
"Ich beschloss, mir den ganzen Felsen genauer anzusehen", erinnert sich Dozent Zonew. "Auf dem Gipfel sah ich runde, in den Stein gehauene Mulden mit einer kleinen Abflussrinne. Nach Ansicht der Archäologen handelt es sich hierbei um prähistorische Kultstätten. Unklar ist, ob man hier Milch, Wasser oder Wein darbrachte, da das in das zweite vorchristliche Jahrtausend zurückgeht. Ich war verblüfft. Ich fragte mich, welche Macht die Menschen aus dem Mittelalter wohl daran erinnert hat, dass es vor Jahrtausenden hier eine Kultstätte gegeben hat."
Ebenfalls sehr interessant sei die Peter- und Paulskapelle in Tscherwen Brjag bei Dupnitza, erzählt Ljubomir Zonew und weiter:
"Hier gibt es einen prähistorischen Grabhügel mit einem Menhir – einem zwei Meter hochragenden Steinblock", berichtet Dozent Zonew. "In der christlichen Epoche wurde er in Kreuzform umgemeißelt. Auf der einen Seite enthält er eine Kerzennische. In Westeuropa gibt es ähnliche Fälle. Menhire wurden zu Fraubillenkreuzen umgestaltet. Auf Hügelgräbern mit Dolmen wurde beispielsweise eine Kapelle errichtet. In Westeuropa werden diese Stätten gepflegt, wogegen ich sie hier nur mit Mühe und Not ausfindig machen konnte", bemängelt Ljubomir Zonew.
Die Verbindung zwischen Heiden- und Christentum kann zudem anhand der Darstellungen verfolgt werden. Wie etwa beim thrakischen Reiter, einer Gottheit namens Heros.
"Die Darstellung des thrakischen Reiters stammt von den Stämmen, die vor Christus den Balkan besiedelten. Der Reiter ist auf etwa 5000 freigelegten Reliefsteintafeln abgebildet", verweist Ljubomir Zonew. "Offenbar stellte sich die hiesige Bevölkerung ihren Gott als Reiter vor. Dieser Reiter ist nicht aggressiv. Er galoppiert oder jagt. Solche Steinplatten wurden bis ins vierte Jahrhundert gefertigt. Ab dem 9.-10. Jahrhundert wurde dann der heilige Georg verehrt, der der Sage nach ein Krieger war. Die ersten Darstellungen zeigen ihn stehend oder sitzend mit Schwert und Schild. Im 10. Jahrhundert wird er auf dem Balkan auf einem Pferd sitzend abgebildet. Ich gehe davon aus, dass sich die lokale Bevölkerung dabei an ihre Vorstellungen gehalten hat - nämlich einen Helden oder Gott hoch zu Ross darzustellen. Im 15.-19. Jahrhundert wurden Steintafeln mit der Abbildung des thrakischen Reiters vielerorts als Ikonen des heiligen Georgs verehrt."
Einen ähnlichen Fall gab es auch in Plowdiw. Eingans des 20. Jahrhunderts wird ein Museum gegründet. Auf der Suche nach Artefakten für sein Museum sucht Direktor Boris Djakowitsch die Häuser in der Umgebung auf. In einem Gebäude fällt sein Blick auf eine kleine Hauskapelle mit einer Steintafel mit der Abbildung des thrakischen Reiters. Sie war schon so lange verehrt worden, dass sie mit einer dicken Rußschicht überzogen war. Ein interessantes Zeugnis für den Zusammenhang zwischen den alten Abbildungen von Heros und dem heiligen Georg sei ferner die Doppelikone, die eingangs des 20. Jahrhunderts freigelegt wurde.
"Sie stellt eine Reliefholztafel mit den heiligen Georg und Demetrios hoch zu Ross dar, die von Szenen aus den Heiligenleben umrahmt ist", erzählt der Dozent Ljubomir Zonew. "Der Rahmen datiert in das 17. Jahrhundert. Die Holztafel ist sehr wahrscheinlich älter. Der heilige Georg ist mit einem Speer gegen ein wildes Tier kämpfend dargestellt. Auf seinem Rücken trägt er einen Bogen und einen Köcher mit Pfeilen, was bei anderen Ikonen des Heiligen fehlt. Auch der thrakische Reiter war ein Jäger. Gegenüber den Heiligen ist ein Baum abgebildet, um den sich eine Schlange windet, gegen die der heilige Demetrios die Keule schwingt. Das Sujet mit Heros, dem Baum und der Schlange ist auf mindestens der Hälfte der Steintafeln aus der Thrakerzeit zu sehen. Der Ikonenmaler hat die alten Darstellungen ganz bewusst übernommen. Im Christentum gibt es kein derartiges Sujet", erklärt Dozent Zonew vom Institut für Festkörperphysik abschließend.
Übersetzung: Christine Christov
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