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Rachid Benzine: „Europa muss aus den Erfahrungen des Balkans mit dem Islam lernen“

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Foto: BGNES

Das Sofioter Zentrum für Kultur und Debatten „Das rote Haus“ und das Französische Institut in Bulgarien organisierten jüngst eine Diskussionsrunde über die Probleme, mit denen die Moslems in den weltlichen Ländern Europas konfrontiert werden, wie auch über die unterschiedlichen Strömungen des Islam, von denen einige in einem christlichen Umfeld auf der Balkanhalbinsel existieren. Unter den anwesenden Experten war Rachid Benzine – ein angesehener Politologe und Historiker des Islam, der am „Institut für politische Studien“ (IEP) in Aix-en-Provence und am „Institut für protestantische Theologie“ in Paris unterrichtet. Er hielt einen Vortrag zum Thema „Der Islam in Europa: Einzahl oder Mehrzahl?“

Nach dem Forum in Sofia unterhielten wir uns mit Rachid Benzine. Zu Beginn fragten wir ihn nach seiner Position und warum ihn die Medien als „Erforscher des liberalen Islam“ bezeichnen?

Ich persönlich bezeichne mich nicht als „Denker“ des liberalen Islam“, sagt Rachid Benzine. „Die Medien ihrerseits lieben Zusätze, wie „konservativ“, „liberal“ und entsprechende Kombinationen wie „liberaler Islam“. Viele Menschen sind der Ansicht, dass es sich beim „liberalen Islam“ um einen Islam handelt, der sich an die Kultur und Gesellschaft anpasst, in denen er sich entwickelt. Das ist meiner Meinung nach der „Islam der Freiheit“. Ich selbst fühle mich als Historiker und Anthropologe, der die Texte des Korans aus dem 7. Jahrhundert erforscht. In den letzten Jahren hat sich im Kontext der Wechselbeziehungen zwischen lokalen Strömungen und dem globalen Islam eine Art „Markt für den Islam“ herausgebildet. Auf diesem Markt muss jeder seine Wahl treffen“, sagt der Experte weiter. „In Frankreich hat diese Wechselbeziehung die Krise des postkolonialen Denkens aufgedeckt, bei dem die religiöse Zugehörigkeit mit politischen Instrumenten und Sicherheitsmaßnahmen trätiert wird. Frankreich hat ohnehin ein gestörtes Verhältnis zur Religion. Die Öffentlichkeit ist weltlich eingestellt; ferner werden Symbole anderer Religionen als störend empfunden. Es ist sehr wichtig, die historischen Entwicklungsetappen des Islam, besonders in seiner Entstehungsphase zu erforschen. Es zeigt sich nämlich, dass in Europa viele Moslems und auch Nichtmoslems eine falsche Vorstellung davon haben, was diese Religion darstellt und sie leben mit den Ideen eines idealisierten Islam, den es nie gegeben hat. Man muss ihnen die Augen für die Realität öffnen. Der Islam ist ein Produkt der Zeit, des Ortes und der Gesellschaft, in der er entstanden ist und sich entwickelt hat.“

Fanatisch eingestellte junge Menschen, Terror und Anschlagsopfer – das alles hat in den letzten Jahren zur Politisierung der Religionszugehörigkeit geführt und viele Moslems sind gezwungen, sich immer zu rechtfertigen, denn ihr Glaube scheint sie von vornherein zu Terroristen abzustempeln. Wie ist es so weit gekommen?

In der letzten Zeit wird eine Art Angst vor dem Islam und der Islamisierung Europas suggeriert, da er als eine Bedrohung für das sogenannte „westliche Wertemodell“ angesehen wird“, sagt Rachid Benzine. „Diese Angst macht blind und viele Menschen erkennen nicht, dass die meisten Moslems eher eine weltliche Einstellung gegenüber ihren religiösen Praktiken haben. Sie selbst sind in eine Falle dessen geraten, was international passiert.“

In Europa spricht man über den Islam im Stil des Kolonialismus oder Postkolonialismus. Welche Stelle nimmt der Balkan ein, der Jahrhunderte lange Erfahrungen im Zusammenleben der unterschiedlichsten Religionen, einschließlich des Islam besitzt?

Es ist an der Zeit, dass das postkoloniale Europa etwas vom Balkan lernt, wo der Islam seit Jahrhunderten präsent ist und sich Traditionen im Zusammenleben herausgebildet haben“, ist Rachid Benzine überzeugt. „Leider kommen in der letzten Zeit auch auf dem Balkan Ängste auf, was auf die Probleme beim Aufbau des vereinten Europa zurückgeführt werden kann. Das „Schreckgespenst“ Islam spiegelt die Probleme und die Krisen wider, vor die man in Europa gestellt wird. Es ist viel leichter zu sagen, was man nicht ist, als das, was man ist…

Rachid Benzine ist der Ansicht, dass Europa eine führende Rolle bei der Lösung der globalen Krise des Islam spielen müsse. Europa und der Mittelmeerraum könnten zur Heimstaat eines neuen Islam werden, in dem die jungen Menschen die Lebensbejahung und nicht den Tod erkennen.

Am Ende seiner Ausführungen zitierte Rachid Benzine den französischen katholischen Priester und Kapuziner Abt Pierre: „Eine Zivilisation wird an der Qualität des Grunds des Zorns gemessen, den sie der Jugend bietet“. Die Terrororganisation Islamischer Staat bietet auf dem Markt des Zorns ihr Produkt an. Nun sind wir an der Reihe dem etwas entgegenzustellen – eine Form des Zorns, die aufbauend und nicht zerstörend ist.

Übersetzung: Wladimir Wladimirow



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