Flüchtlinge oder andere Nicht-EU-Bürger, die von einem EU-Staat in einen anderen illegal einreisen, dürfen nicht allein deshalb in Haft genommen werden. Das beschloss in dieser Woche der Europäische Gerichtshof in Luxemburg. Dieser Gerichtsentscheid wird der bulgarischen Grenzpolizei sicherlich Schwierigkeiten bereiten. Denn derzeit nimmt sie alle im Landesinneren erfassten Flüchtlinge vorübergehend fest, die illegal über die bulgarische Grenze aus der benachbarten Türkei oder Griechenland eingereist sind. So schreibt es derzeit das bulgarische Strafgesetz vor. Erst nach Klärung der Personalien kommen die Migranten in die Erstaufnahmestellen. Dieser Vorgang, auch wenn er im bulgarischen Gesetz so beschrieben steht, ist manchen westlichen Medien seit Ausbruch der Flüchtlingskrise ein Dorn im Auge. In unzähligen Reportagen erzählen sie seit Jahren, dass Bulgarien die Flüchtlinge schlecht behandelt, weil die Polizei sie nach Grenzübertritt für 24 Stunden festnimmt. Vom illegalen Grenzübertritt mithilfe krimineller Schleuserbanden und ohne Personalausweisen keine Rede. So geschehen diese Woche wieder im deutschen Fernsehen.
Doch, bevor die bulgarische Grenzpolizei ihr Vorgehen nach dem Gerichtsbeschluss von dieser Woche ändert, sollte Bulgarien mit einer anderen Art der Festnahme fertig werden, die nichts mit dem Strafgesetz zu tun hat. Gemeint sind die Festnahmen durch die sog. Bürgerwehren entlang der Grenze zur Türkei. In diesem Frühjahr zogen zum ersten Mal kahlgeschorene Jungs in die Wälder des schwer zugänglichen Strandscha-Gebirges, um Ausschau nach illegalen Grenzgängern zu halten. Fragt man sie selbst, so unternehmen sie lediglich einen sonntäglichen Waldspaziergang, um zu picknicken. Sie rücken mit Leckereien aus, kehren aber mit nahöstlichen Migranten zurück, festgebunden mit Kabelbindern.
"Go Turkey, no Bulgaria" – dieser im "perfekten" Englisch brutal geschriener Satz, festgehalten im selbstgedrehten Handyvideo, kursierte zunächst unter den Facebook-Usern in Bulgarien, machte aber schnell den Sprung ins internationale Netz. Und von den sozialen Medien bis ins Programm der großen westlichen Medien dauert es dann meist nicht lange. So geschehen auch mit Dinko Walew, dem Schrotthändler aus dem südbulgarischen Jambol, der auf seinem Quad sitzend im Fernsehen stolziert, dass er an nur drei Wochenenden 25 Flüchtlinge mit bloßen Händen dingfest gemacht habe. Das ausländische Millionenpublikum vor dem Fernseher ist im Handumdrehen felsenfest überzeugt, in Bulgarien sei es Gang und Gebe, dass kahlköpfige Jungs auf die Jagd nach Flüchtlingen gehen. Um es auf Anhieb zu glauben, reicht es aus, Szenen einer Flüchtlingsjagd durch eine Bürgerwehr im Gebüsch zu inszenieren und zweifelhafte Statistiken einer unglaubwürdigen Quelle zu zitieren, ohne die Einheimischen zu befragen und die Grenzpolizei zu Wort kommen zu lassen, die ja für die Grenzüberwachung zuständig ist. Ja, die Bürgerwehren gibt es tatsächlich, es ist eine Frage der Darstellung, ob sie die Lieblingsfreizeitbeschäftigung der Bulgaren sind.
Die Medienarbeit ist eine heikle Angelegenheit. Aber an aller ersten Stelle eine verantwortungsvolle. So einfach, wie man über die Medien Einlass in die Köpfe der Menschen bekommt, ist sonst wo nicht zu finden. Die Medienfreiheit ist höchstes Gut der westlichen Zivilisation. Um so mehr muss man damit verantwortungsvoll umgehen, um sie zu hüten. Und umgekehrt – als Hörer, Zuschauer und Leser darf man sich nicht für dumm verkaufen lassen.
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