Nach einer relativen Entspannung an der innenpolitischen Front in Bulgarien verrät einiges aus den vergangenen Wochen, dass dieser Eindruck trügerisch ist. Die Regierungskoalition hat einen Partner verloren, und beide Oppositionsparteien – die Sozialisten von der BSP und die liberale Türkenpartei DPS – haben neue Parteivorsitzende. Eine unerwartete Solo-Aktion der mitregierenden bürgerlichen DSB brachte wiederum eine erwartete Antwort: der amtierende Staatspräsident Rossen Plewneliew steht für eine zweite Amtszeit nicht zur Verfügung. Welches Bild schaffen diese einzelnen Puzzlesteine? Darüber sprachen wir mit dem Chef des Instituts für rechte Politik Neno Dimow.
Wenn wir mal ganz ehrlich sind, ist die Parteienlandschaft in Bulgarien nach 1989 ideologisch noch nicht herauskristallisiert. Die linke BSP als Nachfolgerin der kommunistischen Partei hat mit ihren Gesetzesvorstoßen mehrmals als eine konservative Partei gewirkt. Seit der Zersplitterung der antikommunistischen Union der demokratischen Kräfte (UDK) kämpfen ihre Nachfolgeparteien eher um die Mitte, als um die konservativen Werte. Die liberale DPS ist eigentlich eine ethnische Türkenpartei, die zudem seit kurzem, ebenfalls zersplittert, einen direkten Konkurrenten um die Wählerstimmen der bulgarischen Türken bekommen hat. Zersplittert sind auch die Sozialisten: Ex-Präsident Georgi Parwanow gründete seine Kleinpartei ABW, die man schwer einordnen kann, ob sie sozialdemokratisch ist, oder einfach die Partei des früheren Präsidenten.
So bunt ist auch das jetzige Parlament in Sofia, das vor anderthalb Jahren eine nicht minder bunte Regierung gewählt hat. Ministerpräsident Borissow ist Vorsitzender der derzeit vermutlich einzigen relativ stabilen Partei, jedoch in einer vermeintlich stabilen politischen Situation. Ideologisch ist allerdings auch seine Mitte-rechts-GERB-Partei nicht eindeutig einzuordnen, was allerdings eher auf den Zickzack-Kurs von Borissow selbst zurückzuführen ist, der somit versucht, sein Kabinett über die manchmal stürmische See der bulgarischen Innenpolitik zu lotsen.
Angesichts dieser wackeligen Situation erwartet das Institut für rechte Politik die Wiedergeburt des bipolaren politischen Systems in Bulgarien. Neno Dimow erläutert:
"Wir hoffen, dass es dazu kommt, insbesondere nach dem Austritt der ABW aus der Regierungskoalition", sagt Dimow. "Das bipolare politische Modell ist eher positiv zu bewerten, denn die größten Probleme Bulgariens seit 2001 gehen darauf zurück, dass bei den Parlamentswahlen vor 15 Jahren das Zweiparteienmodell abgewählt wurde. Durch die Rückkehr zum bipolaren Parteiensystem wird auch die politische Alternative zurückkehren. Alle gut entwickelten demokratischen Gesellschaften haben zwei große Volksparteien links und rechts von der Mitte. Nur dieses Modell ermöglicht klare ideologische Mehrheiten", meint Neno Dimow.
Die jetzige bulgarische Regierung, dieses komplizierte Konstrukt von eigentlich acht Parteien, schaffte es ein Jahr nach Amtsantritt, die erste politische Prüfung zu meistern: die Kommunalwahlen im vergangenen Oktober. Diesen Herbst heißt es, die nächste Prüfung zu bestehen, wenn in Bulgarien ein neuer Staatschef gewählt wird. Und obwohl die Vollmachten des Präsidenten fast ausschließlich repräsentativ sind, werden die bevorstehenden Wahlen als eine Art Test für die Regierungsmehrheit betrachtet. Und sie löst sich förmlich auf. Das Institut für rechte Politik erwartet eine Konsolidierung rechts von der Mitte, allerdings nur, wenn dies auch im linken politischen Spektrum passiert. Die sozialistische Partei hat kürzlich eine neue Parteivorsitzende gewählt. Kornelia Ninowa gab bereits zu verstehen, dass sie ihre BSP für die anderen linken Parteien in Bulgarien öffnen will.
"Für die neue Parteispitze der oppositionellen Sozialisten ist es von erstrangiger Bedeutung, dass ihr Präsidentschaftskandidat es zumindest in die Stichwahl schafft", behauptet Neno Dimow. "Wie die Sozialisten dieses Ziel erreichen und ob sie dafür eine breite Unterstützung suchen werden, ist eine Frage der politischen Reife der Partei. So, wie sich die Beziehungen zwischen den Sozialisten und der kleinen Splitterpartei ABW derzeit entwickeln, lässt aber keine all zu gute Perspektive zu", behauptet der Politikwissenschaftler.
Neno Dimow erwartet nicht, dass die Türkenpartei DPS diesmal, wie bisher, eine entscheidende Rolle für den Ausgang der Präsidentschaftswahlen spielen wird. Denn oftmals war es ausschlaggebend, wessen Kandidat die DPS unterstützt, ohne einen eigenen aufzustellen. Nun hat die Partei ein größeres Problem: sie muss nämlich um ihre vorherrschende Stellung in der türkischen Minderheit bangen, seitdem die Splitterpartei DOST des früheren Parteichefs Mestan sie ihr strittig macht. Über beiden heute Oppositionsparteien DPS und BSP hängt ferner immer noch der Schatten der monatelangen Regierungsproteste von vor drei Jahren. Der damals generierte Bürgerprotest schaffte es nicht, in eine politische Kraft hineinzufließen, die ihr Wählerpotenzial ausbaut. Stattdessen beobachtet man immer wieder neue Parteisplitterungen. Die Erklärung von Neno Dimow:
"Dieser Bürgerprotest hatte zwei Dimensionen", sagt er einleitend. "Zum einen sind die Menschen aus rein moralischen Gründen auf die Straße gegangen, um gegen die Art und Weise zu protestieren, wie die damaligen Regierungsparteien BSP und DPS bestimmte Personalentscheidungen durchsetzen wollten. Allen voran, natürlich, die Ernennung des dubiosen Medienmoguls und DPS-Abgeordneten Deljan Peewski zum Geheimdienstchef. Der tiefere Grund für die Bürgerproteste ist aber eine Tendenz, die wir nicht nur in Bulgarien beobachten – die Trennung zwischen dem Konservatismus und dem Liberalismus. Zwischen links und rechts liegt immer noch ein sehr tiefer Graben und der sozialistische Gedanke verliert an Zugkraft. Dafür aber setzt sich der liberale Gedanke im linken politischen Spektrum immer mehr durch. Genau das lag auch den Regierungsprotesten in Bulgarien zugrunde. Wir sind Zeugen eines Evolutionsprozesses, der per Definition langsam ist. Wir wünschen uns, dass alles schnell, möglichst sofort passiert, aber die Evolution braucht ihre Zeit und wir müssen uns in Geduld üben", sagte abschließend Neno Dimow vom Sofioter Institut für rechte Politik.
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