Die Idee der Wahlpflicht in Bulgarien ist nicht neu – mal nahm sie Schwung auf und wurde heftig diskutiert, mal flaute die Debatte wieder ab, aber die Idee schwebte weiterhin in den Köpfen der Bürger und Politiker. Nun ist es soweit – das Parlament hat über die Novellen im Wahlgesetz in zweiter Lesung abgestimmt und die Wahlpflicht eingeführt. Über die Vorgeschichte und die Folgen sprachen wir mit dem renommierten Politikwissenschaftler Prof. Antonij Galabow.
„Wenn wir zurück schauen, so war die Wahlpflicht eine Idee des Präsidenten, der vor zwei Jahren ein Referendum dazu vorgeschlagen hatte“, erinnert sich Prof. Galabow. „Er argumentierte damit, dass die Wahlpflicht ein Mittel gegen die Politikverdrossenheit, das Misstrauen der Bürger gegenüber den politischen Parteien und gegen den Stimmenkauf sein kann. Das Referendum so, wie der Präsident es vorgeschlagen hatte, fand nicht statt. Stattdessen wurde die Frage umformuliert und das Ergebnis hatte keinen bindenden Charakter. Nun sind wir soweit, dass das Parlament entscheiden musste, was die Bürger wollen. Für mich ist es der falsche Weg, eine so wichtige Frage allein den Parlamentsparteien zu überlassen. Sie haben etwas beschlossen, was allerdings nicht zur Beilegung der hitzigen Diskussion führen wird, weil die Entscheidung nicht von allen Bürgern getragen wird“, sagt Prof. Galabow.
Die hitzigen Diskussionen gehen weiter und haben sogar abnormale Form angenommen. So wurde etwa im Rechtsausschuss des Parlaments vorgeschlagen, die Wählerinnen und Wähler für ihre Stimmabgabe zu belohnen – in Form einer Tombola oder gar Steuererleichterungen. Die bulgarische Gesellschaft hat offensichtlich immer noch kein Verständnis dafür entwickelt, wie die Demokratie funktioniert. Die Erwartungen an die Wahlpflicht, mit der zu niedrigen Wahlbeteiligung und dem Stimmenkauf aufzuräumen, sind viel zu hoch gesteckt. Ob die Wahlpflicht die Menschen motivieren wird, zur Urne zu gehen? Dazu der Politikwissenschaftler Prof. Antonij Galabow:
„Ich bezweifle es“, sagt er. „Außerdem muss man den Wahlberechtigten die Möglichkeit einräumen, gegen alle Kandidaten zu stimmen. Die Wahlbeteiligung sollte eigentlich als bürgerliche Pflicht von uns allen verstanden werden, ohne Gegenstand eines Gesetzes zu sein. Die Tatsache, dass so viele Menschen in Bulgarien nicht das Gefühl haben, die Politik des Landes durch die Teilnahme an Wahlen mitzubestimmen, deutet auf ein tiefes Misstrauen gegenüber der Parteien“, kommentiert Prof. Galabow.
Die niedrige Wahlbeteiligung, gepaart mit dem Misstrauen gegenüber der Politik, ist auf die Enttäuschung der Menschen in den Nachwendejahren zurückzuführen. Nach 1989 dachten wir alle, dass wir sehr schnell eine freie und demokratische Gesellschaft aufbauen werden. Stattdessen erleben wir Stimmenkauf und Politikverdrossenheit. Prof. Galabow sieht sogar eine ernste Gefahr für die Demokratie in Bulgarien.
„Ich befürchte, dass wir unser politisches Leben nicht nach demokratischen Prinzipien gestalten“, sagt der Politikwissenschaftler. „Ich befürchte, dass Bulgarien sich von der Demokratie entfernt und einem anderen politischen System nähert. Viele Bürger haben das Gefühl, dass die Machtverhältnisse nicht bei Wahlen festgelegt, sondern unter einer geschlossenen Gesellschaft ausgemacht werden. Das hat mit Demokratie nichts zu tun, das hat etwas mit Oligarchie zu tun. Die Gefahr für die demokratische Ordnung in Bulgarien ist durchaus real“, glaubt der Politikwissenschaftler Prof. Antonij Galabow.
Der Wahltag in Frankfurt verläuft ruhig, sagte unsere Landsfrau Katja Slatkowa, die einem Wahlausschuss in der Stadt angehört, gegenüber Radio Bulgarien. Sie wies auf zwei Faktoren hin, die den Menschen die Stimmabgabe etwas erschweren, die..
Seit heute, dem 27. September, befindet sich Bulgarien wieder in einem 30-tägigen Wahlkampf. 28 Parteien und 11 Koalitionen haben bei der Zentralen Wahlkommission Unterlagen für die Teilnahme an den nächsten vorgezogenen Parlamentswahlen..
Bulgarien steht vor einem weiteren Rebus bei der Suche nach einem Ausweg aus der politischen Dauerkrise, nachdem Präsident Rumen Radew sich geweigert hat, einen der von der designierten Premierministerin Goriza Grantscharowa-Koscharewa..