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Der Mann mit den vielen Gesichtern

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Foto: Luisa Lazarova

Radomir Mirtschew ist ein auf den ersten Blick ganz normaler Mensch mit Jura-Abschluss, der jedoch täglich in mehrere Rollen schlüpft. Unter seinen Freunden ist er als "verfluchtes Ungeziefer" bekannt - ein Pseudonym, das er sich tief beeindruckt von einem Buch von Terry Pratchett zulegt. Das Pseudonym hat solchen Erfolg, dass ein Teil seiner Bekannten nicht mal seinen wahren Namen kennt.

Wenn sie irgendwann der Meinung sind, dass der Tag viel zu kurz ist, um alles zu erledigen, wird Rado ihnen sofort widersprechen. Neben seiner Arbeit als Redakteur für Rechtsliteratur bei einem Verlag bleibt genügend Zeit für seine Hobbys. Er mag Live-Rollenspiele (LARP) und Online-Spiele und erfindet gern neue Tischspiele. Eines seiner Spiele ist bereits erfolgreich auf dem Markt. Was treibt das "verfluchte Ungeziefer" dazu, in die Ritterrüstung zu schlüpfen und sich mit seinen Freunden zu messen?

"Man findet seine Rolle in dieser Welt, versetzt sich hinein, kommt zum Event, das höchstens drei Tage dauert und lässt es sich gut gehen, um nach einem ganz andersartigen Abenteuer, nach Kämpfen mit unechten Waffen und echten Rüstungen müde und zufrieden nach Hause zu gehen. Bei Phantasie-Spielen werde ich zu einem Elf, schieße mit Pfeilen oder kämpfe mit Speeren. Bei postapokalyptischen Szenarien bin ich ein boshafter Arzt, der seine Patienten schikaniert."

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Auch das Erfinden von neuen Tischspielen ist keine leichte Sache. Die Zeit verfliegt wie im Nu, auch fordert die Beaufsichtigung eines ganzen Malerteams so einiges ab.

"Wir haben mit der Arbeit an einem neuen kosmischen Spiel begonnen. Mehrere kosmische Zivilisationen bekämpfen sich gegenseitig. Da, wenn sich Menschen in den Kosmos begeben und dort auf anderen Zivilisationen treffen, sie nicht in der Lage sind, sich mit ihnen zu verständigen. Das Spiel heißt `Ein Platz an der Sonne`, weil jeder genau das anstrebt."

СнимкаTrotz allem war der Alltag von Rado vergleichsweise beschaulich, bis zu jenem Tag 2013, an dem er auf einer Antiregierungsdemonstration verhaftet wurde und Tomaten auf das Parlamentsgebäude geworfen hatte. Pressefotografen halten den Jugendlichen mit Handschellen fest... Und hier beginnt seine Odyssee. Problemlos kommt er wieder frei, da er offensichtlich nur seinen Standpunkt vertreten hat. Kurz darauf vergisst Rado die ganze Geschichte, bis ihn eines Tages ein Bekannter fragt, warum er eine Bank überfallen, sich mit einer älteren Dame rumgeschlagen und dergleichen getan habe. Verwundert stellt Rado fest, dass sein Bild von jenem Tag an, an dem er in Handschellen abgeführt wurde, auf dem Titelblatt diverser Medien zu sehen ist und für die unterschiedlichsten Verbrechen steht. Es zeigt die Rückseite eines Mannes, dessen langes blondes Haar und die Tätowierung jedoch augenscheinlich seine Identität  offenbaren. Für die Medien ist er ein echtes "Ungeziefer" und ein Verbrecher, seine Bekannten schicken ihm immer neue Veröffentlichungen. Die Mutter von Rado lebt im Ausland, weswegen Rado sie rechtzeitig davon in Kenntnis setzen kann, dass ihr Sohn in Bulgarien keine Gräueltaten sät.

"Alle möglichen Leute schicken mir bis heute verschiedene Artikel zu, obwohl das Foto bereits drei Jahre alt ist", erzählt Rado. "Offenbar veranschaulicht das Foto sehr zutreffend einen jungen Mann mit kriminellem Äußeren, mit Handschellen auf dem Rücken. Ich veröffentliche diese Artikel dann in meinem Profilen in den sozialen Netzwerken, um die Dinge richtig zu stellen. So etwas schadet dem guten Ruf. Ich nehme es jedoch mit Humor. Ich könnte die Medien verklagen, was bei uns aber nur wenig Aussichten auf Erfolg hat. Unser Justizsystem ist sehr zäh und konservativ, was die Durchsetzung meiner Interessen sehr schwierig machen würde. Die Frage ist, ob ich auf dem Foto erkannt werde. Die Antwort ist eindeutig positiv."

Das Foto wird bis heute verwendet, selbst, nachdem der junge Mann in mehreren Fernsehsendungen auf dieses Problem hingewiesen hat. Noch hofft Rado, dass es sich von selbst lösen wird.Auf jeden Fall zeigt es uns, dass niemand vor unerwünschten Überraschungen gefeit ist, die das Leben von heute auf morgen auf den Kopf stellen können.

Übersetzung: Christine Christov



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