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Verwahrlost in Bulgarien

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Foto: Abandoned in Bulgaria

In Bulgarien gibt es ungemein viel zu entdecken. Das meiste kennen nicht einmal die Bulgaren selbst, nur Einheimische können darüber erzählen. Abgesehen von dem, was in den Reiseführern und verschiedenen Abhandlungen über Architektur, Geschichte und Archäologie gepriesen wird, bleibt das Gros weiterhin unerschlossen. Mehr noch! Es verwahrlost.

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Ein Abstecher nach Orten, über die man von Insidern erfahren hat, lohnt sich immer. Es ist nicht nur die schöne Landschaft und Natur, die beeindrucken, es sind beispielsweise die verschwiegenen und geheimnisumwobenen Gemäuer alter Kirchen und Klöster, die auf bessere Tage warten. Viele von ihnen liegen in Ruinen und sobald man sich an der Romantik sattgesehen hat, bedauert man ihren Zustand und versteht nicht so recht, warum der Staat und selbst die Bürger den Verfall an sich wertvoller Denkmäler so einfach hinnehmen. Selbst Einrichtungen aus neuerer Zeit sehen aus, als ob sie scheinbar grundlos aufgegeben worden sind. Dabei ist ihnen anzusehen, dass ihre Errichtung einst viel Mühe und Geld gekostet haben.

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Aber nicht alle sehen tatenlos zu. Einer unter ihnen ist Plamen Stefanow. Vor etwa drei Jahren richtete er im Facebook eine Seite ein, die er „Verwahrlost in Bulgarien“ nannte. Zusammen mit seiner Freundin reist er durch Bulgarien, macht Aufnahmen, sucht nach Hintergrundinformationen und veröffentlicht alles auf der Seite, um nicht nur Gleichgesinnte, sondern möglichst viele Menschen mit verwahrlosten Objekten bekannt zu machen. Er hofft damit, die Öffentlichkeit bzw. die verantwortlichen Stellen dazu zu bringen, sich zu regen. Die Seite „Verwahrlost in Bulgarien“ hat bereits über 13.000 Freunde. Wir fragten Plamen Stefanow, was die Menschen besonders schockiert.

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Jede verwahrloste Stätte kann schockierend wirken“, antwortet er. „Angefangen beim alten Gebäude der Marinehochschule, die Tausende junge Matrosen absolviert haben, bis zu einem kleinen privaten Kindergarten, dem das Dickicht über das Dach wächst. Es sind viele Gebäude darunter, denen man ansieht, dass für deren Errichtung oder Rekonstruktion Geld geflossen ist, nun aber aus irgendeinem Grund leer stehen und verkommen. Die Menschen sind vor allem von Militärobjekten beeindruckt, die einst mit großen Summen gepflegt wurden und zuweilen der Geheimhaltung unterlagen, in der Neuzeit jedoch verlassen wurden. Die Gebäude selbst wurden geplündert und stehen leer, werden aber auch nicht privaten Unternehmen zur zivilen Nutzung angeboten. Dabei handelt es sich meist um große Grundstücke von Dutzenden Hektar. Es ist leider so, dass diese Grundstücke appetitliche Happen sind und urplötzlich von dubiosen Geschäftsleuten für 'n Appel und 'n Ei vom Staat erworben werden. Die Menschen, die sie geschaffen und mit ihren Steuern unterhalten haben, gehen leer aus.

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Oft bewundern die Bulgaren die schmücken Häuschen und Gassen alter verschlafener Orte Mittel- und Westeuropas. Dabei gibt es nicht minder Schönes in Bulgarien selbst – man bemerkt es aber nicht und lässt es verkommen. Es ist halt leichter zu warten, dass jemand kommt und die Arbeit für uns erledigt, anstatt selbst die Initiativ zu ergreifen! Es gibt aber auch positive Beispiele:

Dank meiner Seite habe ich viele junge Menschen in Bulgarien kennengelernt, die beispielgebend sind“, erzählt Plamen Stefanow. „Ich muss immer an Christian denken, der über Facebook eine Initiative ins Rollen gebracht hat. Er hat andere Jugendliche dafür begeistern können, die Kleinspurbahn in den Rhodopen zu retten. Sie haben sich Farbe und Pinsel gekauft und sind los und haben die kleinen Bahnhöfe entlang der Strecke frisch gestrichen. Natürlich können sie nicht die Bahn wiederbeleben – das ist Sache des Staates. Sie haben aber die Gebäude soweit hergerichtet, damit keiner in Verlegenheit kommt und den Touristen erklären muss, dass es jüngst in Bulgarien keinen Krieg gegeben hat. Die Verwahrlosung ist ein ziviler „Krieg“, hervorgerufen durch die Unbekümmertheit und Tatenlosigkeit der Menschen. Jedes verwahrloste Objekt kann mit Hilfe von Unterschriftensammlungen, Interessengruppen, die sich dafür stark machen und andere Initiativen schließlich doch einem neuen Zwecke zugeführt und von der Öffentlichkeit wieder genutzt werden. Heutzutage zieht man es aber leider vor, auf die Schnelle neue Gebäude zu errichten, die an die Qualität und Lebenserwartung der Bauwerke vor 50 oder 100 Jahren überhaupt nicht herankommen. Diese lässt man wiederum  verwahrlosen, weil es einfacher ist. Für sie kann man immer irgendwelche Fördergelder erhalten, von denen dann der Größtteil in die eigene Tasche fließt. Das ist meiner Ansicht nach eine falsche Politik“, entrüstet sich Plamen Stefanow.

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Deutsche Fassung: Wladimir Wladimirow

Fotos: Abandoned in Bulgaria



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