Wenn der Winter näher rückt, ziehen sich viele Hausfrauen in Bulgarien in die Küche zurück und widmen sich voll und ganz einer fast schon rituellen Beschäftigung – der Zubereitung des Wintergemüses. Gewürzgurken, Paprikaschoten, Rosenkohl, Sauerkraut – alles kann eingelegt werden.
Am Frauenmarkt in Sofia, der größte Markt in Bulgariens Hauptstadt, ist im Spätherbst besonders viel los. Dann geraten die Hausfrauen regelrecht in einen Kaufrausch. Und zurecht, denn alles hier sieht verlockend aus: rote Tomaten und Paprikaschoten glänzen neben dem warmen Orange der Kürbisse und dazwischen funkeln Perlen gleich noch weiße und dunkelblaue Weintrauben – ein Stillleben, die Holländer hätten es nicht besser malen können. An diesem Horn des Überflusses ergötzen sich die Menschen in Bulgarien jedoch nicht so sehr aus ästhetischen Gründen – in ihren Augen sind das alles nur künftige leckere Konserven für den Winter. Dieser Gedanke hat auch Jordanka Mitewa zum Frauenmarkt getrieben. Die 68jährige Großmutter von zwei Enkelkindern war schon immer für das Wintergemüse im Hause Mitew zuständig gewesen.
"Ich mache alles allein – den sog. ‚Königssalat’ aus roten Paprikaschoten, Rosenkohl, Karotten und Sellerie, Sauerkraut lege ich selbst ein, ich mache auch Brotaufstriche aus gemahlenen Paprikaschoten und Tomaten ein, und auch Konfitüre aus allen möglichen Früchten. Selber einmachen ist zudem günstiger, und es schmeckt auch einfach viel besser. Die fertigen Konserven taugen nichts – großes Glas, fünf Paprikaschoten und viel Wasser – mehr ist da nicht drin", sagt Jordanka Mitewa und bleibt am Stand von Trifon Najdenow stehen. Der 71jährige Gemüsehersteller aus der Umgebung von Sofia hat eine Marktnische für sich entdeckt und verkauft selbst eingemachtes Wintergemüse nach dem Hausrezept seiner Großmutter.
"Die jungen Menschen kaufen generell lieber Fertigprodukte ein, aber auch sie möchten den Geschmack des Eingemachten nicht missen", weiß Trifon Najdenow. "Deshalb haben wir beschlossen, hausgemachtes Wintergemüse auf dem Markt zu verkaufen. Das Geschäft läuft gut, die Auswahl ist groß und es schmeckt sehr gut. Unser Geheimnis ist, dass wir es mit viel Liebe tun. Nur dann gelingt es", sagt Trifon Najdenow.
Wie alle Südländer genießen die Bulgaren das Leben und gutes Essen gehört einfach dazu. Das selbst eingelegte Wintergemüse ist für viele ein Muss. Für viele junge Menschen sind aber die selbstgemachten Konserven für den Winter ein Überbleibsel aus sozialistischer Zeit. In der Mangelwirtschaft damals gab es in den Läden ohnehin kaum etwas zu kaufen, auf die Qualität der Lebensmittel achtete man daher nicht sonderlich. Und an frisches Obst und Gemüse im Winter war erst gar nicht zu denken. Also konservierte man selbst. Diese Tradition hat jedoch in Bulgarien trotzdem überlebt, wie die Ethnografin Ewgenia Tonewa zu berichten weiß. Sie erforscht die Beziehung der bulgarischen Familien zum Eingemachten und behauptet, dass zwei Drittel aller Bulgaren Wintergemüse einlegen. Da spielen soziale Lage, Bildungsstand und Einkommen keine wesentliche Rolle. Es sei vielmehr eine Lebenseinstellung – wer der Traditionen huldigen möchte, tut es unter allen Umständen.
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