Blamiert. So fühlt sich wohl Bulgariens Staatschef seit Dienstag. Denn sein Vorstoß, ein Referendum über richtungsweisende Änderungen im Wahlgesetz durchführen zu lassen, scheiterte am Widerstand des Parlaments. Aus Angst, die Zügel aus der Hand zu verlieren, ließen die Abgeordneten zwei der drei Präsidentenfragen fallen. Und so werden wir am 25. Oktober, wenn die Kommunalwahlen in Bulgarien stattfinden, zwar bei einem Referendum teilnehmen dürfen, jedoch die harmloseste von den vorgeschlagenen Fragen beantworten. Nämlich, ob die Online-Stimmabgabe auch in Bulgarien eingeführt werden soll. Die essentiellen Fragen über die partielle Mehrheitswahl der Parlamentarier und über die allgemeine Wahlpflicht sind dem Parlament wohl zu heikel und es ließ sie wie heiße Kartoffeln fallen.
Der bulgarische Präsident Rossen Plewneliew, der der konservativen Regierungsmehrheit nahe steht, setzt sich noch seit den Bürgerprotesten im Sommer 2013 für gravierende Änderungen im Wahlgesetz ein. Er schaffte es, eine breite Schar von Befürwortern aus der Bevölkerung für seine Ideen zu gewinnen. Die partielle Mehrheitswahl ist die einzige Möglichkeit, die dem Wähler eingeräumt wird, seinen Volksvertreter zu bestimmen. Denn heute bekommt man bei Wahlen nichts weiter, als eine Parteiliste angeboten, in welcher man im besten Fall den an erster Stelle angeführten Politiker kennt. Die Plätze in der Parteiliste werden von der jeweiligen Parteizentrale nach eigenem Gutdünken vergeben. Dabei ist "vergeben" das richtige Wort – wer brav war, wird nach vorn geschoben. Diese Handhabung der Wahllisten ist parteiübergreifend. Verständlich, dass sich die Abgeordneten am Dienstag parteiübergreifend gegen die Einführung der partiellen Mehrheitswahl ausgesprochen haben. Formell lehnten sie den Vorschlag ab, weil der Präsident die Frage ungünstig formuliert habe. Es werde nicht deutlich, wie viele der 240 Parlamentssitze in einer Mehrheitswahl besetzt werden sollen. Aber nicht einmal revidiert ließen sie die Frage zu.
Der zweite Punkt in Plewneliews Vorstoß sorgte immer wieder für heiße Diskussionen – die Wahlpflicht. Ist sie demokratisch? Und was tun, wenn keines der Parteiprogramme einem zusagt? Mehr noch – was passiert, wenn man trotz Wahlpflicht nicht wählen geht? Wird man bestraft? In der Tat hatte der Präsident darauf keine Antworten und so ließ das Parlament auch diese heiße Kartoffel fallen.
Der eigentliche Hintergedanke dabei ging bei den Debatten im Plenarsaal verloren. Die Wahlpflicht würde den bei Wahlen verbreiteten Stimmenkauf sinnlos machen. Bei einer höheren Wahlbeteiligung würden "gekaufte" Wählerstimmen an Gewicht verlieren. Strikt gegen die Wahlpflicht, "aus Sorge um die Demokratie", sprach sich die Partei der bulgarischen Türken DPS aus. Verständlich – politischen Beobachtern zufolge habe die Partei mit 36 Abgeordneten im 240köpfigen Parlament ihr Limit an Wählerstimmen aus den Reihen der türkischstämmigen Minderheit in Bulgarien bereits erreicht. Darüber hinaus würde eine höhere Wahlbeteiligung die Unterstützung für die Türkenpartei bedeutend schmälern. Verschiedene Nichtregierungsorganisationen, aber auch Spitzenpolitiker aus der Regierungskoalition, werfen der DPS immer wieder vor, den Stimmenkauf insbesondere unter der Roma-Minderheit in Bulgarien eingeführt zu haben.
Die Wahlpflicht mag nicht gerade ein demokratisches Instrument sein, aber was läuft in Bulgarien schon demokratisch ab? Viele Menschen sind in einem so hohen Grade demotiviert, an der Demokratie teilzunehmen, dass sie wohl kaum von der Wahlpflicht begeistert wären. Andererseits kann es nicht sein, dass immer weniger Wahlberechtigte zur Urne gehen, dann aber zu Hause bei Schnaps und Schopska-Salat auf die Politik schimpfen. Zum Demokratieverständnis gehört, dass man als Bürger dieses Landes schon die eigene Verantwortung übernehmen sollte, auch wenn einem die Chance dazu nur alle vier Jahre geboten wird.
In punkto Wahlrecht bleibt also alles beim alten, selbst, wenn nach dem Referendum die Online-Stimmabgabe eingeführt werden sollte. Und so revidierte das Parlament zum zweiten Mal binnen zwei Wochen eine Reform, die letztendlich keine ist. Die Justizreform wurde kaputtreduziert und um ihren wichtigsten Punkt gebracht – Sie erinnern sich: der Oberste Justizrat wird weiterhin seine Entscheidungen in geheimer Wahl treffen und somit bleiben die Zweifel, dass diese Entscheidungen womöglich nach Druck von außen durchgewinkt werden. Nun hat es auch die Wahlgesetzreform getroffen.
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