Am heutigen Tag vor genau 178 Jahren kam in der Familie von Gina und Iwan Kuntschew ein Knabe zur Welt, den sie auf den Namen Wassil tauften. Er sollte zum Freiheitsapostel Bulgariens werden, das sich zu jener Zeit unter türkischer Fremdherrschaft befand.
Jana, die ältere Schwester von Wassil erzählte später eine Begebenheit aus der Kindheit ihres Bruders, als er gerade mal vier Jahre alt war. Einmal fragte der Junge seine Schwester, ob sie wohl wüsste, was er eines Tages werde. Und sie begann zu raten: „Priester?“. „Nein“, antwortete er. „Vielleicht Lehrer?“. „Auch nicht!“. „Oder Händler?“. „Auch Händler nicht!“. „Was denn dann?“, fragte schließlich Jana und der Junge antwortete ihr: „Das wissen nur Gott und ich!“…
Bereits mit 14 Jahren verlor Wassil den Vater und musste in die Dienste eines Onkels gehen, der Geistlicher war. Dieser sicherte ihm eine halbwegs anständige geistliche Bildung und riet dem Jungen, Mönch zu werden. Und so wurde er 1858 unter den Namen Ignatij zum Mönch geweiht. Das Klosterleben war jedoch nichts für den aufgeweckten jungen Mann, der mit den Ideen der Freiheitsbewegung in Kontakt kam. Er schloss sich den Revolutionären an, wurde Freiwilliger der bulgarischen Legion in Belgrad, dann Fahnenträger einer der Freischärlergruppen, die in Rumänien gebildet und nach Bulgarien geschickt worden war. Der von ihm an den Tag gelegte Mut brachte ihm den Beinamen Lewski, abgeleitet vom bulgarischen Wort für Löwe, ein.
Lewski kam zu der Überzeugung, dass das Volk wachgerüttelt werden muss – ohne dem sei eine Befreiung unmöglich. Für seine Idee zog er etliche bulgarische Intellektuelle heran und baute mit ihnen das Bulgarische Revolutionäre Zentralkomitee auf, das “die Befreiung Bulgariens durch eine moralische und bewaffnete Revolution” in Angriff nahm.
“Ich habe mich dem Vaterland gewidmet, ihm bis zum Tod zu dienen und im Willen des Volkes zu arbeiten.” – Worte von Wassil Lewski, der seinen Landsleuten mit seinen Handlungen als Beispiel diente. Seine aufopferungsvolle Tätigkeit wurde zur Legende. Allein durch Verrat geriet er in die Hände der türkischen Behörden, wurde zum Tode verurteilt und am 19. Februar 1873 in Sofia gehenkt.
Heute ist Wassil Lewski für alle Bulgaren eine Ikone. In unserem Wunsch, wenigsten einen kleinen Blick auf den Menschen Wassil Lewski zu werfen, wandten wir uns an Christina Bogdanowa – sie ist die Ururenkelin seiner Schwester Jana. Gleich zu Beginn fragten wir sie, ob es die Bulgaren geschafft haben, die demokratischen Ideen umzusetzen, für die Kämpfer wie Lewski ihre Leben lassen mussten?
„Leider sehen wir heute nicht alle Dinge verwirklicht, an die er glaubte und für die er kämpfte“, sagt Christina Bogdanowa. „Am meisten schätze ich die Freiheit, weil sie ein Zustand des Geistes ist. Sie ist nicht etwas, das uns irgendjemand gibt. Lewski war überaus verantwortungsvoll und hielt sich immer vor Augen, welche Folgen seine Tätigkeit auf seine Mitmenschen haben werde. Er teilte die Menschen in ehrliche und würdige ein und solche, die nicht diese Eigenschaften besitzen. Lewski ist ein ausgesprochen toleranter und weitherziger Mensch.“
Die Toleranz Lewskis kommt bereits in der Grundidee zum Ausdruck: Wiederherstellung des bulgarischen Staates als Mittel zur Beseitigung der türkischen Gewaltherrschaft, Aufbau eines ethnischen Modells, das auf der Toleranz gegenüber den Minderheiten fußt. Christina Bogdanowa erinnerte an weitere Worte Lewskis:
„Mit meinem Ende ist nicht der Weg zu Ende, den ihr begehen müsst“, sagte er. Diese Worte sind seine Botschaft an die nachfolgenden Generationen. Die Freiheit müsse nicht nur erkämpft, sondern auch verteidigt werden – jeden Tag, solange es noch Bulgarien und Bulgaren gibt. Ich bin davon überzeugt, dass jeder von uns diesen Ideen folgen kann. Es reicht schon aus, wenn wir gut zueinander, tolerant und offen sind. Das wird unsere Welt mit Sicherheit in einen besseren Platz zum Leben verwandeln. Wenn wir das vor Augen haben, unsere Arbeit tun und unsere Kinder auf würdige Weise erziehen, dann werden wir mit Sicherheit die Voraussetzung für den Austausch der sogenannten „Elite“ von heute schaffen. Der Weg beginnt bei uns.“
Wassil Lewski hat uns viele kluge Worte hinterlassen. Welche sind heute jedoch besonders aktuell?
„Ich würde sagen: das Leben ist heilig und einig“, antwortet Christina Bogdanowa. „Wichtig ist die Wahl; wir haben immer eine Wahl und gerade sie macht uns zum Menschen. Unsere Freiheit, ob die nationale oder die persönliche, wird von der Entscheidung bestimmt und davon, wie wir diese Entscheidung, unabhängig des Preises, verteidigen. Lewski war davon überzeugt, dass es besser ist aufrecht zu sterben, als kniend zu leben, umgeben von nichtigen Dingen, Angst und Unzufriedenheit. Das ist, ausgedrückt mit wenigen Worten, für mich am wertvollsten“, sagte abschließend Christina Bogdanowa, Ururenkelin von Lewskis Schwester Jana.
Deutsche Fassung: Wladimir Wladimirow
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