Der 10. November 1989 begann für die einfachen Bulgaren als ein Tag wie jeder andere – bis zum frühen Abend, so gegen 18:00 Uhr, als der Bulgarische Nationale Rundfunk überraschend meldete, dass der Genosse Petar Mladenow den Genossen Todor Schiwkow als Generalsekretär des Zentralkomitees der Bulgarischen kommunistischen Partei ablöst.
"Liebe Genossinnen und Genossen, ich danke euch für das außerordentlich hohe Vertrauen, dass ihr mir mit meiner Wahl zum Generalsekretär des Zentralkomitees unserer Partei entgegengebracht habt. Ich bin mir dessen voll bewusst, wie groß die Pflichten und Verantwortungen sind, die mir aufgebürdet wurden und ich möchte versichern, dass ich keine Kräfte sparen werde, um dieses Vertrauen zu rechtfertigen. Gestatten Sie mir im Namen des Zentralkomitees, des Politbüros und im meinem persönlichen Namen dem Genossen Todor Schiwkow für seine langjährigen treuen Dienste für die Sache der Partei und der Revolution zu danken. Wie wünschen ihm noch lange Jahre Gesundheit, Elan und schöpferische Aktivität", sagte der frischgebackene Generalsekretär und spätere Präsident Mladenow beim Plenum des ZK der BKP.
Für die Bulgaren, die es gewohnt waren, zwischen den Zeilen der gestelzten offiziellen Ansprachen und Verlautbarungen zu lesen, wurde sofort klar – das ist ein Umsturz auf der höchsten Ebene der Kommunistischen Partei, die seit 1944, also seit einem knappen halben Jahrhundert, in Bulgarien schaltete und waltete. Im Rahmen des Anfang 1986 in der damaligen Sowjetunion durch Michail Gorbatschow eingeleiteten Prozesses zum Umbau und zur Modernisierung des gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Systems des "realen Sozialismus" mit den Stichworten "Glasnost" und "Perestroika" bedeutete das: nach drei Jahren, in denen die Parteibonzen in Bulgarien mit Schiwkow an der Spitze vergeblich versuchten, die Köpfe in den Sand zu stecken, ist es nun auch bei uns so weit. Die große Veränderung ist da. Der Damm ist gebrochen.
Ein weiteres Detail – trotz der Informationsverdunklung war es durchgesickert: am Abend zuvor, am 9. November, hatte der frisch zum Sekretär des ZK der SED für Informationswesen – so etwas wie ein Regierungssprecher – bestellte Genosse Günter Schabowski auf einer Pressekonferenz in Berlin für alle überraschend die Reisefreiheit für alle DDR-Bürger verkündet und damit – was damals freilich noch nicht abzusehen war – den Fall der Berliner Mauer eingeläutet. Einen knappen Monat zuvor, am 18. Oktober 1989, hatte Todor Schiwkows Amtskollege, SED-Generalsekretär Erich Honecker nach der monatelangen Ausreisewelle der DDR-Bürger in den Westen seinen Rücktritt erklärt. Dieser Rücktritt wie auch der Rücktritt Schiwkows waren nicht ohne sowjetischen Druck erfolgt. Am 3. November traf der damalige sowjetische und später russische Botschafter in Sofia, der KGB-General Viktor Scharapow, mit Schiwkow zusammen und legte ihm nahe, dass es nach Vorbild der DDR auch für ihn Zeit sei, abzutreten. Schiwkow zögerte, begann sich zu winden, deshalb rief Scharapow ein paar Tage später Schiwkows alte Genossen auf den Plan – darunter der Verteidigungsminister und Oberkommandierenden der Streitkräfte, Armeegeneral Dobri Dschurow und Dimitar Stanischew – der Vater des ehemaligen Ministerpräsidenten und Vorsitzenden der Bulgarischen sozialistischen Partei und jetzigen Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Europas Sergej Stanischew. Sie schafften es dann am 8. November, Schiwkow zu überzeugen, dass er zurücktreten muss. Und so kam es zur Ansprache von Petar Mladenow am 10. November.
Rund eine Woche später, am 18. November 1989, organisierten oppositionelle Organisationen ihre erste große Kundgebung. Mehr als 100.000 Menschen versammelten sich im Zentrum von Sofia, auf dem Platz vor der Alexander-Newski-Kathedrale. Unter den Organisatoren, die auch Ansprachen hielten, waren Dissidenten wie Petar Beron, der Philosoph und spätere erste frei gewählte Präsident des Landes Schelju Shelew, die Dichterin Blaga Dimitrowa (später Vizepräsidentin Schelews), der Satiriker Radoj Ralin u.a.
Hier ein Teil der emotionsgeladenen Ansprache von Blaga Dimitrowa bei dieser Kundgebung aus dem Tonarchiv des Bulgarischen Nationalen Rundfunks:
"Brüder und Schwestern, beglückwünschen wir uns mit dem neuen bulgarischen Ostern! Drei Jahrzehnte der Leibeigenschaft unter der Herrschaft seniler Feudalherrn sind vorbei. Die privilegierten Vasallen haben unser Leben in graue Langeweile, freudlose Arbeit, Schweigen, Angst und Teilnahmslosigkeit verwandelt. Der Unfähige hat dem Fähigen den Platz weggenommen, der hinterhältige Kriecher verfolgt den Ehrlichen so lange, bis er ihn vernichtet, der Dummkopf organisiert Versammlungen von seinesgleichen, um die Stimme der Vernunft und der Begabung zu ersticken. Niemand nimmt den Platz ein, an den er gehört, mit wenigen Ausnahmen", so Blaga Dimitrowa.
Und die Worte von Radoj Ralin auf dieser Kundgebung, ebenfalls aus dem Tonarchiv des Bulgarischen Nationalen Rundfunks:
"Liebe leidgeprüfte Mitbürger, unverwirklichte verlorene drei Generationen, wir alle werden vom Regime der Plutokratie erdrückt. Ich sehe hier ein Spruchband: "Tod der roten Bourgeoisie". Das war keine rote Bourgeoisie, denn die Bourgeoisie wurde durch harte Arbeit und durch Produktion zu einer Klasse, sie profitierte nicht von der Macht, sondern die Macht profitierte von den Steuern. Die rote Plutokratie dagegen war die Macht jener, die sich an der Macht bereicherten. Eine parasitäre Minderheit, die uns bis zum Ende der Zeit regieren wollte und die Menschen zu Tieren verkommen ließ. Ihr wisst das alles, deshalb wird der 10. November das Datum der zweiten Befreiung Bulgariens sein. Hoffentlich bleibt es aber nicht nur ein romantischer Ansatz, nur eine heroische Absicht", so Radoj Ralin.
Die Teilnehmer an der Kundgebung, deren Zahl von manchen sogar auf 150.000 geschätzt wurde, forderten die Streichung des Artikels 1 des bulgarischen Grundgesetzes, in dem die führende Rolle der Kommunistischen Partei festgeschrieben war. Das geschah dann knapp zwei Monate später, am 15. Januar 1990 und es wurden die ersten Wirtschaftsreformen eingeleitet. Der 10. November 1989 blieb aber als ein symbolisches Datum für das Ende der Herrschaft der Kommunisten und für den Beginn des Übergangs zu Demokratie und Marktwirtschaft in Bulgarien.
Übersetzung und Redaktion: Petar Georgiew
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