Am 25. Oktober stellen sich die wahlberechtigten Bürger Bulgariens der Qual der Wahl: Gleichzeitig mit den bevorstehenden Kommunalwahlen sollen sie bei einem Referendum entscheiden, ob die Wahlpflicht in Bulgarien eingeführt werden soll. So fordert es der bulgarische Präsident Rossen Plewneliew – in seiner Ansprache am Mittwoch schlug er dem Parlament vor, über die Durchführung eines Referendums über Änderungen im Wahlgesetz zu entscheiden.
Das ist der zweite Anlauf des bürgerlichen Präsidenten. Plewneliew setzt sich seit der Regierungskrise in Bulgarien im vergangenen Jahr für die Einführung der Wahlpflicht ein. "Die Wahlpflicht würde den bei Wahlen verbreiteten Stimmenkauf sinnlos machen", argumentierte er. Bei einer höheren Wahlbeteiligung würden "gekaufte" Wählerstimmen an Gewicht verlieren. Zudem versucht der Staatschef dadurch, die Bürgerinnen und Bürger mit den politischen Prozessen im Land, wo sich die Politikverdrossenheit immer weiter ausbreitet, enger zu engagieren.
Mit seiner Forderung steht Plewneliew nicht allein da. Die regierende GERB-Partei des Ministerpräsidenten Bojko Borissow hat sich die Wahlpflicht ebenfalls im vergangenen Sommer auf die Fahnen geschrieben, als sie in der Opposition war und die monatelangen Proteste gegen die sozialistische Regierung Orescharski anführte.
Die heute oppositionellen Sozialisten lehnen diese gravierende Änderung im Wahlgesetz ab. Auch ihr ehemaliger Koalitionspartner in der Regierung Orescharski, die Partei der bulgarischen Türken DPS, sprach sich bereits im Vorfeld der Präsidentenansprache am Mittwoch gegen die Wahlpflicht aus. Politischen Beobachtern zufolge habe die Partei mit 36 Abgeordneten im 240-köpfigen Parlament ihr Limit an Wählerstimmen aus den Reihen der türkischstämmigen Minderheit in Bulgarien bereits erreicht. Darüber hinaus würde eine höhere Wahlbeteiligung die Unterstützung für die Türkenpartei bedeutend schmälern. Verschiedene Nichtregierungsorganisationen, aber auch Spitzenpolitiker aus der Regierungskoalition, werfen der DPS immer wieder vor, den Stimmenkauf insbesondere unter der Roma-Minderheit in Bulgarien eingeführt zu haben. Erst kürzlich, als es im südwestbulgarischen Dorf Garmen zu einem ethnischen Konflikt zwischen der bulgarischen Dorfbevölkerung und der dortigen Roma-Gemeinschaft gekommen war, kritisierte Radan Kanew vom mitregierenden Reformblock die DPS wegen ihrer Roma-Politik. Die Partei unterstütze die Roma-Gettos im Land absichtlich. "Diese Lebensweise der Roma-Gemeinschaft wird politisch unterstützt, denn nur ungebildete und sozial genötigte Menschen neigen leicht dazu, ihre Stimmen bei Wahlen zu verkaufen", analysierte Kanew.
Egal, wie man verschönern mag, dass die Wahlpflicht die Bürger mit der Politik engagieren würde, hinter der Idee steht eine monströse und sonderbare Nebenerscheinung bulgarischer Wahlen: der Stimmenkauf, der jedem halbwegs intelligenten Menschen nicht in den Kopf geht. Auch 25 Jahre nach der Wende schätzen die Bürger das Recht, frei zu wählen, nicht. Und so erleben wir bei Wahlen immer wieder, dass Menschen busweise in bestimmte Wahllokale gekarrt werden, um das Kästchen für eine bestimmte Partei anzukreuzen, und dass Roma ihre Stimme für mickrige 20 Euro verkaufen. Dem gegenüber steht die Politikverdrossenheit, die sich bei Urnengängen in einer niedrigen Wahlbeteiligung ausdrückt, knapp am Rande der annehmbaren Repräsentanz. Die Abneigung, zur Wahlurne zu gehen, ist insbesondere unter jungen und gebildeten Menschen verbreitet. Bei jedem Medienbericht über gekaufte Wählerstimmen fühlen sich Nichtwähler in ihrer Überzeugung bestätigt, dass ihre Stimme eh nichts wert ist.
Genau diese Menschen will der Präsident nun erreichen. Und da sie nicht freiwillig an die Urnen gehen, sollen sie dazu verpflichtet werden. Es drohen auch Strafen, die aber – das können wir jetzt schon wetten – genauso wenig greifen werden, wie die Strafen bei Stimmenkauf. Denn der Stimmenkauf und –verkauf steht seit Jahren als Straftat im Strafgesetzbuch. Stimmen werden aber weiterhin fleißig gekauft und verkauft. Viel mehr braucht es eine demokratische Moral, die wir 25 Jahre nach der totalitären Zeit wohl noch nicht haben. Schlimmer noch – man macht sich kaum Gedanken darüber. Und schon gar nicht in den Randgruppen, wo der Stimmenkauf blüht. Denn die soziale Not macht aus den Menschen überzeugte Nichtdemokraten. Und noch etwas – wenn man es genau nimmt, dürften die großen Parteien mit der niedrigen Wahlbeteiligung glücklich sein. Je weniger Menschen zur Urne gehen, um so sicherer ist, dass der Status quo beibehalten wird und die Parteizentralen keine bösen Überraschungen in der Wahlnacht erleben. Daher dürfen wir auf die Debatten im Parlament über die Einführung der Wahlpflicht gespannt sein, denn das Parlament hat das letzte Wort über die Durchführung des Referendums. Ob wir also am 25. Oktober nicht nur einen neuen Bürgermeister wählen, sondern auch bei einer Volksbefragung abstimmen werden, steht noch in den Sternen.
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