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Identitätskrise

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Foto: BGNES

In seiner jüngsten Geschichte irrt Bulgarien umher, auf der Suche nach dem Großen Bruder und dem Retter der Nation. In zwei Weltkriegen hatte der Große Bruder seinen Sitz in Berlin, dann zog er nach Moskau um, und heute sitzt er in Brüssel. Die Suche nach dem Retter der Nation geht aber auch heute weiter, obwohl Bulgarien Mitglied im reichsten Klub der Welt ist, auch wenn es das ärmste ist. Ein Beweis für das Umherirren sind die abwegigen Ergebnisse bei Parlamentswahlen, wenn immer wieder Eintagsfliegen als vermeintliche Retter gewählt werden. Unter allen Möchtegern-Rettern glänzt aber einer mit dem besonderen Charme eines Adligen. Wir hatten ihn fast schon vergessen, doch die Bulgarische orthodoxe Kirche holte ihn dieser Tage aus der Vergessenheit.

Simeon Sachscoburggotski nahm die bulgarische Politik 2001 im Sturm ein, versprach unser allen Wohlergehen in nur 800 Tagen und wir wählten ihn zum nächsten Ministerpräsidenten. Noch damals hatten viele ein Problem mit seinem Dasein – ist er nun ein Monarch oder ein Republikaner? Nach dem Tod seines Vaters Boris III. wurde der kleine Simeon zum König der Bulgaren ernannt, saß aber nie auf dem Thron. Genauso wenig ist er jemals abgedankt. Der Adlige aus dem Hause Sachsen-Coburg-Gotha kehrte 2001 in die Heimat zurück, um Regierungschef in einer parlamentarischen Republik zu werden. Sein Schicksal unterscheidet sich von dem der anderen "Rettern der Nation" kaum – nach vierjähriger Amtszeit geriet er in Vergessenheit, das versprochene Wohlergehen der Bulgaren trat nicht ein, aber der Zar-Ministerpräsident sorgt seit vergangener Woche erneut für Schlagzeilen. Der Grund: Die Heilige Synode der Bulgarischen orthodoxen Kirche entschied, den früheren bulgarischen König und Ex-Premier Simeon Sakskoburggotski in Gottesdiensten künftig explizit als "König" zu würdigen.

Damit erlebt die Identitätskrise Bulgariens einen neuen Höhepunkt. Denn von einem König in einer parlamentarischen Republik zu sprechen, ist schlicht und einfach schizophren. Die Entscheidung der Kirchenväter sorgt für heftige Kritik. Präsident Rossen Plewneliew forderte eine Revidierung des Beschlusses, da dadurch im Land eine neue Spaltung zwischen Monarchisten und Republikanern drohe. Die bulgarische orthodoxe Kirche beging am vergangenen Wochenende feierlich den 1150. Jahrestag seit der Christianisierung der Bulgaren. Dabei weigerte sich das bulgarische Kirchenoberhaupt, Patriarch Neofit, die umstrittene Entscheidung der Heiligen Synode näher zu erklären. Das seien Dinge, über die man an einem Feiertag nicht ausführlich spreche. Simeon besitze eine Würde, die man unterstützen wolle. Überraschend war auch, dass an der Feier auch der frühere König Sakskoburggotski teilnahm, der das öffentliche Leben sonst meidet, seitdem er sich offiziell aus der Politik zurückgezogen hat.

Bei Parlamentswahlen anzutreten, wie Simeon Sachscoburggotski 2001, gleicht einem Verzicht auf den Thron, auch wenn er es so nie gesagt hat. Der Ex-Exil-Monarch nahm seinen bürgerlichen Namen Simeon Sachscoburggotski an, er nahm auch den republikanischen Posten des Ministerpräsidenten an, verzichtete jedoch nie explizit auf die Krone. Viele Bulgaren bezweifeln bis heute noch die angeblichen edlen Gründe für die Heimatrückkehr des Adligen. Viel mehr ist man fest davon überzeugt, dass Sachscoburggotski nur wegen seiner umfangreichen Immobilien in Bulgarien den Spagat zwischen Monarchie und Republik wagte. Der bittere Nachgeschmack bleibt hängen, auch Jahre nach seiner Regierungszeit. Denn der edle Ex-König unterscheidet sich von den bürgerlichen "Rettern der Nation" kaum – sie alle betraten die politische Bühne aus reinem Eigennutz. Nun soll die Bulgarische orthodoxe Kirche ihn explizit als König würdigen. Wie auch die Motive der Bischöfe sein mögen, wird diese umstrittene Entscheidung wohl kaum das ohnehin schmelzende Vertrauen der Gläubigen in die Kirche zurückbringen.



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