Iwan ist Soziologie-Student im vierten Semester an einer privaten Hochschule in Bulgarien. Er arbeitet als Versicherungsmakler – aber nicht nur nebenbei. Mehr noch – seit Semesterbeginn hat er keinen Fuß in die Uni gesetzt, weil er seinen Worten zufolge "dort nichts lernt". Trotzdem zahlen seine Eltern die gesalzenen Studiengebühren und nach ein paar Jahren wird er höchstwahrscheinlich auch ein Diplom erhalten. Wie viele andere Studenten in Bulgarien wird Iwan aber wahrscheinlich nach seinem Abschluss nicht das arbeiten, was er gelernt hat.
Ralitza ist ebenfalls im vierten Semester, allerdings an einer niederländischen Universität. Sie studiert Finanzwesen und weiß nicht, ob sie eines Tages nach Bulgarien zurückkehrt oder nicht. Sie hat sich entschieden, im Ausland zu studieren, weil sie davon überzeugt ist, dass sie dort eine bessere Ausbildung und mehr Fachkenntnisse erhält. Ach ja, und weil sie sich bessere Chancen ausrechnet, nach dem Studium eine Arbeitsstelle zu finden.
Was haben diese beiden, auf dem ersten Blick ganz unterschiedliche Fälle, gemeinsam? Die Hochschulbildung, die fast ausnahmslos ein Diplom, jedoch nicht immer die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten bringt.
Mit der abgebrochenen Verbindung zwischen Bildung und den Anforderungen der Arbeitgeber beschäftigen sich schon seit Jahren verschiedene NGOs, die Bulgarische Wirtschaftskammer und sogar die Weltbank. Die beiden letztgenannten stellten kürzlich Studien vor, die sich mit den Besonderheiten und Problemen im Zusammenhang mit der Qualifizierung und dem Arbeitsmarkt befassen.
"Das, was Bulgarien von anderen Staaten unterscheidet, ist, dass hier die Bildung der Frauen eine wesentliche Rolle für ihre Beschäftigung spielt", meint Victoria Levin von der Weltbank aus Anlass der Bekanntgabe des ersten Teils einer umfangreichen Studie des Arbeitsmarktes in Bulgarien. "Bei den Männern sieht es etwas anders aus: Sie beweisen sich vor den Arbeitgebern nicht so sehr mit ihren Diplomen, wie mit Fähigkeiten, Erfahrungen und beruflichen Erfolgen. Wenn eine Frau sich um eine Arbeitsstelle bewirbt, dann legt der Arbeitgeber sehr großen Wert auf die formale Bildung."
Tomtscho Tomow, der das Projekt der Bulgarischen Wirtschaftskammer "Nationales Netz zur Kompetenzbewertung" leitet, sieht das Problem etwas anders.
"Es ist nicht so, dass die Arbeitgeber die Diplome unterschätzen würden, doch an erster Stelle schätzen sie die realen Fähigkeiten der Kandidaten. Vor einigen Jahren schon haben der Europäische und der Nationale Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen festgestellt, dass die Bildung nicht mit Noten, sondern mit realen Kenntnissen, Fähigkeiten und Kompetenzen abgeschlossen werden muss, die sich sofort nach dem Abschluss auch zeigen lassen können", sagt Tomtscho Tomow.
Seiner Meinung nach haben viele Hochschulabsolventen Probleme damit, Arbeit zu finden, weil es keine staatliche Planung in der Hochschulbildung gibt, was dazu führt, dass es dann auf dem Arbeitsmarkt in bestimmten Bereichen einen Überschuss an Fachleuten gibt und in anderen – einen Mangel. Es sind auch Veränderungen bei der Billigung der Lehrprogramme notwendig, meint er ferner. Die Autonomie der Hochschulen ist eine internationale Tradition, doch sehr oft richten sich die Lehrpläne danach, was die Lehrkräfte unterrichten können, und nicht nach den Trends und Bedürfnissen des Arbeitsmarktes und auch nicht nach dem Stand der technologischen Entwicklung. Die Wirtschaftskammer arbeitet im Rahmen des Nationalen Netzes zur Kompetenzbewertung mit 17 Hochschulen zusammen. Das Vertrauen der Studenten in die bulgarische Hochschulbildung muss wiederaufgebaut werden. Dafür muss aber das System reformiert werden. Eine der Schlüsselbedingungen dafür ist die Veränderung des Finanzierungsmodells, das derzeit auf der Zahl der Studenten fußt und nicht auf der Qualität der Ausbildung. Seine Empfehlung an diejenigen, die ihre beruflichen Fähigkeiten auf der notwendigen Ebene halten möchten, ist weiterhin zu lernen.
Übersetzung: Petar Georgiew
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