Emilian Stanew ist einer der bedeutendsten bulgarischen Schriftsteller in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, bekannt auch im deutschsprachigen Raum durch seine Werke "Der Pfirsichdieb", "Durch Wald und Flur", "Antichrist", "Die Legende von Sibin, dem Fürsten von Preslaw" und zahlreichen anderen Werken, die zwischen 1963 und 2013 auf Deutsch erschienen sind. Seine Helden und die Geschichten in seinen Büchern verzaubern seit Jahrzehnten die Leser und versetzen sie zurück in die Zeit und in die Welt der Phantasie. "Wahrheit? Behaltet sie getrost für euch, wenn ihr sie wisst, lasst mir nur die Illusion", sagt er gegen Ende seines literarischen Weges.
"Unter schlechtesten Bedingungen und ohne jegliche literarische Erziehung bin ich aufgewachsen. In der kleinen Stadt, wo ich meine Jugendjahre verbrachte, verspottete man meine ersten Versuche als Schriftsteller. Doch eben diese Bedingungen wirkten sich letztendlich sehr gut auf mich aus. Sie stellten mein Talent auf die Prüfung und das war gut, denn damit eine Begabung auch zutage kommt, bedarf es des Widerstands. Deshalb habe ich eine eigene Meinung zu den günstigen Bedingungen, unter denen jetzt die jungen angehende Schriftsteller arbeiten. So hochmütig es vielleicht auch klingen mag – ich habe mich selbst als Schriftsteller aufgebaut, ohne fremde Hilfe, nur dank der Lektüre von bulgarischen, russischen, französischen und anderen Schriftstellern", erzählt Emilian Stanew in dieser Aufnahme aus dem Tonarchiv des Bulgarischen nationalen Rundfunks.
Seine historischen Romane schrieb er nicht, um einfach geschichtliche Ereignisse zu beschreiben, sondern als Philosoph auf der Suche nach Antworten, warum sich die historischen Prozesse eben auf diese Weise entwickelt haben, warum das alles geschehen ist. "Bulgarien ist ein Land der West- und der Nordwinde. Keiner der Stände hier ist seinen historischen Weg bis zum Ende gegangen", schreibt er – und: "Wie einfach ist die Idee von Gott! Offensichtlich ist sie aus der Notwendigkeit entstanden, sich die Welt vereinfacht und vereint durch die Macht und den Willen einer höheren Kraft vorzustellen. Aus der gleichen Notwendigkeit ist auch der Staat entsprungen."
Nach Abschluss des Gymnasiums und etwas Zeichenunterricht nahm er in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein Studium der Finanzen und des Handels in Sofia auf. Er brachte auch zwei Erzählungen mit nach Sofia, die 1932 veröffentlicht wurden und so begann sein Weg als Schriftsteller. 1971 erhielt er den Preis "Iwan Wasow" für seinen Roman "Antichrist". Die Mission des Schriftstellers beschrieb er folgendermaßen:
"Die Mission des Schriftstellers war meiner Meinung nach immer dieselbe – das Göttliche im Menschen zu wecken und nicht das Tier, ihm Sinn und Glauben zu geben, seine Seele mit Liebe zu erfüllen, sie für die Schönheit zu öffnen, im Menschen Humanität und Kampfgeist zu wecken, Zuversicht in die Zukunft und Lebenslust. Das gute Buch schafft Freude. Es schafft ein Glücksgefühl, denn die Kunst bietet andere Informationen über das Leben, erworben durch das "sonnenhafte Auge" des Künstlers, von dem Goethe spricht*. So verstehe ich die Mission des Schriftstellers... Ohne Glauben, ohne Humanität, ohne Menschlichkeit, ohne Schönheit, ohne den hellen kämpferischen Geist sind die Entwicklung des Menschen und die Zukunft undenkbar", sagt Emilian Stanew.
Seine Heimatliebe, in Verbindung mit seiner Verachtung gegenüber den Unfähigen und die Freiheit, die er sich nahm, um die Wahrheit zu sagen, machten ihn unbeliebt bei den Machthabenden. Obwohl er mehrmals zu Jagdausflügen mit dem Staats- und Parteichef Todor Schiwkow eingeladen war und von ihm sogar als Parlamentsabgeordneter empfohlen wurde, waren ihre Beziehungen recht kühl. Und sie brachen sogar ganz ab, nachdem er Schiwkow empfahl, den Bauern ihren Grund und Boden zurückzugeben, der ihnen im Zuge der Kollektivierung Ende der 40er Jahre genommen wurde.
Ein anderer bedeutender bulgarischer Schriftsteller – Jordan Raditschkow – erinnert sich in einem Interview, dass Emilian Stanew häufig gesagt habe: "Wenn man Erinnerungen anhäuft, häuft man Leben an. Und es ist besser, wenn man Erinnerungen anhäuft und nicht Geld."
Übersetzt von Petar Georgiev
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* Wär nicht das Auge sonnenhaft,
Die Sonne könnt es nie erblicken;
Läg nicht in uns des Gottes eigne Kraft,
Wie könnt uns Göttliches entzücken?
Johann Wolfgang von Goethe,"Zahme Xenien"
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