Die menschenleeren Dörfer im Nordwesten Bulgariens, der ärmsten Region in der Europäischen Union, werden leider immer mehr. Die Landflucht ist aber auch nicht mehr das Wahrzeichen nur des Nordwestens – immer weniger Einwohner zählen die Regionen Razgrad und Silistra im Nordosten, aber auch Lowetsch in der Mitte von Nordbulgarien. Zu diesen alarmierenden Ergebnissen kommt eine Untersuchung des Instituts für Marktwirtschaft. Dem dieser Tage veröffentlichten Bericht zufolge gibt es eine Reihe von Städten in Bulgarien, die wegen der demografischen Krise in ihrer administrativen Einordnung bald untergestuft werden müssen. Jawor Alexiew, einer der Autoren des Berichts, kommentiert die Ergebnisse der Untersuchung.
„Im 21. Jahrhundert, wenn der Bedarf an Arbeitskräfte für die Landwirtschaft nicht mehr so groß ist, wie früher, ist es normal, dass die Menschen in die Großstädte ziehen. So entstehen die Ballungsgebiete“, meint Jawor Alexiew. „Dieser logische Trend blieb in Bulgarien allerdings jahrelang unbemerkt und die komplette Grundlage unserer Regionalpolitik ist falsch. Das ist auch der Grund für die immer größer werdenden Unterschiede zwischen der Hauptstadt Sofia und dem Rest des Landes, sowie zwischen Nord- und Südbulgarien“, behauptet der Experte.
Die Landflucht ist auf eine ganze Kette von aufeinanderfolgenden Problemen zurückzuführen, die über Jahre hinweg unterschätzt wurden. Zum einen ist die fehlende Wirtschaftsperspektive in diesen Regionen des Landes zu nennen. Nach der Wende fielen ganze Wirtschaftszweige in sich zusammen, die Investitionen blieben aus und so nahm die Arbeitslosigkeit von Tag zu Tag zu. Es ist ein Teufelskreis, denn heute, wenn ganze Landstriche menschenleer sind, werden sie auch von potentiellen Investoren gemieden, da dort die Arbeitskräfte fehlen. Und so ist der große Unterschied zwischen dem Norden und dem Süden entstanden. Nördlich des Balkangebirges liegt die Beschäftigungsrate seit über zwei Jahren stabil unter 40 Prozent. Von der Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind Schumen, Razgrad, Silistra, Targowiste, Lowetsch, Montana und Widin. Und genau dort blüht die Schattenwirtschaft.
Die Einkommen in Bulgarien bleiben nach wie vor sehr niedrig. Und ebenfalls unverändert ist, dass sie fast zur Hälfte aus dem Monatsgehalt bestehen. Der Teufelskreis schließt sich damit, dass bei niedrigen Einkommen und Dauerarmut kein steigender Konsum zu erwarten ist. Jawor Alexiew vom Institut für Marktwirtschaft bezeichnet jedoch auch die Infrastruktur als ein Grund mehr, weshalb die Investitionen im Nordwesten ausbleiben.
„Die großen Infrastrukturprojekte im Straßenbau und Eisenbahnverkehr finden im Süden statt und die Belebung der Wirtschaft dort war sofort zu spüren“, kommentiert Jawor Alexiew. „Im Norden hingegen gibt es keine großangelegten Projekte. Die einzige Ausnahme im Verkehrswesen ist die zweite Donaubrücke bei Widin. Doch, auch sie ist mehr oder weniger sinnlos, wenn die Zufahrtsstraßen in einem so schlechten Zustand sind, dass die Autofahrer sie meiden und lieber doch bei Russe über die Donau fahren“, sagt Jawor Alexiew.
Die Schuld an dieser Schieflage ist ihm zufolge auf Regierungsebene zu suchen, denn dort wird über die großen EU-finanzierten Infrastrukturprojekte entschieden. Das sei aber noch lange nicht alles:
„Die Haushaltspolitik auf kommunaler Ebene wird rein administrativ beschlossen“, behauptet Jawor Alexiew. „Die Gemeinden und Kommunen hängen mehr oder weniger vom Willen der Regierung in Sofia und natürlich von der parlamentarischen Mehrheit ab. Das hindert die Kommunen daran, eigene Entscheidungen zu treffen und selbständig zu handeln. Sie lassen sich lieber zentral finanzieren. Ihre Haupteinnahmequelle ist der Regionalfonds, und die Mittel daraus werden in der Regel nach Parteizugehörigkeit verteilt. Das Institut für Marktwirtschaft fordert deshalb, dass die Haushaltssubvention nur für die kleinen Ortschaften beibehalten wird“, sagte abschließend Jawor Alexiew.
Übersetzung: Vessela Vladkova
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