Die Naturkatastrophen scheinen, sich Bulgarien ausgepickt zu haben. Nach den verheerenden Überschwemmungen im ganzen Land, als Hunderte Familien ohne Dach über dem Kopf geblieben sind, fegte Anfang März ein tagelanger Schneesturm durch Südbulgarien. Die Schneedecke erreichte in den Rhodopen zwei Meter. Kleinere Dörfer waren komplett von der Außenwelt abgeschnitten. Zahlreiche Landstrassen konnten nicht passiert werden. Touristen blieben tagelang in Gebirgshütten eingeschlossen. Es mussten Militärfahrzeuge her, um die Straßen in den Hochgebirgsdörfern frei zu räumen und Kranke ins Tal zu fahren. Hunderte kleine Ortschaften mussten fast eine Woche lang ohne Strom ausharren, weil die Stromleitungen abgerissen wurden.
Nach dem ersten Schock vom Schneechaos in den Rhodopen kommen aber Fragen auf. Wie ist es möglich, dass ein Land im modernen Europa vor einem mehrtägigen Schneefall kapituliert? Geschneit hat es immerhin nicht in der Wüste, sondern in einer Gebirgsgegend, wo so etwas im Winter durchaus zu erwarten ist. Wie ist es möglich, dass der Stromversorger in Südbulgarien, der international angesehene Energiekonzern EVN aus Niederösterreich, mit den abgerissenen Stromleitungen tagelang nicht klar kommt? Wie ist es möglich, dass im 21. Jahrhundert die Stromleitungen an längst verfaulten Holzbalken hängen, anstatt unterirdisch verlegt zu sein? Die Ursachen liegen klar auf der Hand – wieder einmal keine Spur von vorbeugenden Maßnahmen, und Teil davon ist zweifelsohne die Modernisierung des maroden Stromnetzes.
Mehr als 200 Kilometer Leitungen sind unter den Schneemassen zusammengebrochen. Meist in entlegenen, schwer zugänglichen Gebieten im Hochgebirgsteil der Rhodopen. Energieexperten haben ausgerechnet, dass die Wiederherstellungsarbeiten mindestens 40 Millionen Euro kosten werden. Bewältigt müssen sie vom staatlichen Netzbetreiber, dessen Aktiva sich auf lediglich einer Milliarde Euro beläuft. Der Schaden ist enorm. Die finanzielle Last auch, bedenke man, dass in den vergangenen zwei Jahren kein müder Euro für Investitionen in das Stromleitungsnetz eingeplant worden ist. Die Leiterin der Stromregulierungsbehörde kommentierte für den Bulgarischen Rundfunk, die regionalen Stromversorger, also die EVN in Südbulgarien, seien verpflichtet, in die Modernisierung des Stromnetzes zu investieren. Sie schloss aber auch nicht aus, dass die Stromversorger das Wetterchaos als Argument für eine neue Preiserhöhung ausnutzen werden könnten.
Warum erst jetzt? Warum scheiterte auch diesmal die Kontrolle? Haben die Stromversorger, allesamt private ausländische Gesellschaften, den desolaten Zustand der Stromleitungen bisher nicht analysiert? Wundern sie sich etwa, dass die hölzernen Strommaste wie Streichhölzer unter dem Schnee zusammenbrechen? Und wenn es so ist, warum werden sie nicht kontrolliert und geahndet?
Die Investitionen in das Leitungsnetz sind in den vergangenen Jahren systematisch zurückgeschraubt worden, mit dem einzigen Ziel, den Strompreis im ärmsten EU-Land absichtlich niedrig zu halten. Im EU-Land Bulgarien ist der Strommarkt entgegen jeglicher EU-Richtlinien nach wie vor reguliert. Das Schneechaos der vergangenen Woche hat gezeigt, dass unter der Fahrlässigkeit der Stromversorger und der Behörden die einfachen Menschen leiden. Und es sieht ganz danach aus, dass sie auch die Rechnung für den angerichteten Schaden mit ihrer nächsten Stromrechnung bezahlen werden.
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