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Und die Moral von der Geschicht` ...

Für Fleiß gibt's manchmal keinen Preis!

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Der zurückgetretene Innenminister Wesselin Wutschkow hatte Reformideen...
Foto: BGNES

Wer sagt denn, in Bulgarien passiere nichts? Nach dem langen Wochenende zum Nationalfeiertag am 3. März passierte etwas vollkommen Neues für die heimische politische Landschaft – ein Minister ist zurückgetreten, weil er die Billigung seines Ministerpräsidenten für die vorgeschlagenen Reformen in seinem Ressort nicht bekommen hat.

In Gesellschaften mit langer demokratischer Tradition ist eine solche Entscheidung üblich. Die Minister werden schließlich in ihre Ämter gewählt, um eine bestimmte Politik durchzuführen. Und wenn sie sich nicht durchsetzen können, gehen sie. Leider ist das in Bulgarien alles andere als selbstverständlich. In unseren Breitengraden gilt der Ministerposten an erster Stelle als eine Möglichkeit, eigene Interessen zu verfolgen und sein eigenes Budget aufzupeppen. Daher ist es mehr als verständlich, dass der gegenüber seiner politischen Elite misstrauische Bulgare andere Motiven für den Rücktritt des Ministers sucht, als seine Moral. Z.B. in geheimen konspirativen Theorien und lobbyistischen Auseinandersetzungen in den höheren Machtetagen. In den vergangenen 25 Jahren der zerbrechlichen Demokratie in Bulgarien haben wir einfach viel zu viele Beispiele von Personalentscheidungen erlebt, die fern jeder Logik sind und einzig und allein den Interessen irgendeiner Parteizentrale oder einem Wirtschaftslobby dienen.

Im konkreten Fall mit dem Rücktritt des Innenministers Wesselin Wutschkow geht es eigentlich um die laut verkündeten Reformen in den Sicherheitsstrukturen Bulgariens, die sich in den letzten Jahren in diversen diskreditierenden Skandalen verwickelt haben. Skandalös waren auch die Ernennungen beider Schlüsselfiguren in den Sicherheitsdiensten des Landes Swetlozar Lazarow und Wladimir Pissantschew. Der erste – Hauptsekretär des Innenministeriums, sprich der eigentliche Polizeichef, zuständig für die operative Polizeiarbeit – wurde auf diesen Posten während der sozialliberalen Vorgängerregierung gewählt, und zwar mit dem Versuch, ihn in seinem Amt auf sieben Jahre zu betonieren. Und der zweite wurde Leiter der Nationalen Sicherheitsagentur DANS als Ersatzspieler im skandalträchtigen Versuch, den dubiosen Medienmogul Deljan Peewski zum Geheimdienstchef zu machen, was eine beispiellose Protestwelle und eine zweijährige politische Krise nach sich zog. Eben diese beiden wollte der überraschend zurückgetretene Innenminister unbedingt auswechseln, um den Weg für die dringend notwendigen Reformen in seinem Ministerium frei zu räumen. Dagegen sprach sich allerdings Ministerpräsident Borissow aus, mit dem Argument, die innen- und sicherheitspolitische Situation in der Ukraine und im Nahen Osten sei nicht der richtige Zeitpunkt für Personalentscheidungen, die das Sicherheitssystem im Land erschüttern könnten. Der Innenminister ging.

Wesselin Wutschkows Rücktritt hat alle überrascht, allen voran den Regierungschef Borissow, der gewohnt ist, selbst die Regie zu führen. Erst am Tag nach dem Rücktritt kamen Politiker und politische Beobachter zu sich und begannen, über die Motive des scheidenden Innenministers zu grübeln. Sie suchten sie – natürlich – zunächst hinter den Kulissen. Niemandem kam es so richtig in den Sinn, dass ein bulgarischer Minister geht, weil seine Reformideen nicht akzeptiert werden. Auch der mächtige Regierungschef schüttelte relativ schnell den überraschenden Rücktritt ab und holte zum Gegenschlag aus: als Nachfolgerin des Innenministers nominierte er seine Stellvertreterin Rumjana Batschwarowa. Die ausgebildete Soziologin ist ein Fremdkörper für das Innenministerium und vermutlich liegt genau darin ihr stärkster Trumpf, das verknöcherte Ministerium zu reformieren. Es ließen aber auch Kommentare nicht lange auf sich warten, dass Borissow, selbst ein Produkt dieses Ministeriums und ehemaliger Polizeichef, durch die Ernennung seiner Vertrauten eigentlich die Sache selbst in die Hand nehmen will. Der unter Druck geratene Regierungschef musste im Streit mit seinen Koalitionspartnern nachgeben und forderte nun den Rücktritt der umstrittenen Polizei- und Geheimdienstchefs Lazarow und Pissantschew.

Das Parlament muss nächste Woche über die Rochaden im Kabinett abstimmen. Dann verlässt auch der zurückgetretene Innenminister endgültig seinen Posten. Frühestens dann erfahren wir, wenn überhaupt, auch seine wahren Beweggründe, den Posten nach nur vier Monaten Amtszeit hinzuschmeißen, ohne die drei Phasen aus dem berühmten Witz über die drei Umschläge* durchlaufen zu haben.


* Es ist wieder mal ein Trainerwechsel und der alte trifft auf den neuen. Sagt der Alte: "Ich drück Dir die Daumen und als Zeichen meiner Unterstützung hinterlasse ich drei Umschläge, die Dir in schweren Zeiten helfen könnten."
Nach einem Monat bleibt der Erfolg aus: Zweites Spiel vergeigt und die Kritik der Presse lässt nicht nach. Der neue Trainer greift zum ersten Umschlag: "Mach Dir keine Sorgen! Sag einfach, dass die Neuzugänge noch nicht integriert seien und man ihnen einfach Zeit geben müsse."'
Nach drei weiteren Monaten kriselt es schon wieder, da die Eingewöhnungszeit abgelaufen ist und die Vereinsführung ungeduldig geworden ist. Der Trainer greift zum zweiten Umschlag und liest: "Nur die Ruhe. Die Verletzungen seien schuld, dass inzwischen ganze Mannschaftsteile nicht mehr funktionierten, der Verein müsse nicht reagieren."
Nach der Hinrunde geht das erste Spiel gleich den Bach runter und nun sind auch die Fans verärgert. Der Trainer öffnet den dritten Umschlag: "Mach drei Umschläge fertig..."



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