Der Anschlag auf die Redaktion des Pariser Satiremagazins „Charlie Hebdo“ hat die Sicherheitspolitik in Europa erneut auf die Tagesordnung der Politiker gebracht. Und somit auch die ersehnte Vollanwendung des Schengener Abkommens in Bulgarien. Das Abkommen von 1985 über die geteilte Verantwortung für die gemeinsame Sicherheit der Mitgliedsländer schuf die Grenzkontrolle ab. Das strebt nun auch Bulgarien an. In all den Jahren des Strebens schufen es aber die heimischen Politiker nicht, die konkreten strategischen Vorteile für Bulgarien aus der Schengen-Mitgliedschaft zu nennen, ausgenommen natürlich den Prestigezuwachs, den jede Brosche am Revers symbolisiert. Leider macht auch die Vizeregierungschefin Meglena Kunewa, zuständig für die Europapolitik in der neuen Regierung in Sofia, keine Ausnahme. In mehreren öffentlichen Auftritten in dieser Woche forderte sie den möglichst schnellen Beitritt Bulgariens zum grenzkontrollfreien Schengen-Raum und zitierte Angaben der Meinungsforscher, wonach knapp 60 Prozent der Bulgaren dafür seien. Die Meinungsforscher haben aber nicht erforscht, ob diese 60 Prozent der Bulgaren für den Schengen-Beitritt aus rein Prestigegründen sind. Eine öffentliche Debatte über die Rolle des Schengener Abkommens im Kontext der Gefahr, die aus dem "Islamischen Staat" und der damit verbundenen anschwellenden Flüchtlingswelle ausgeht, gab es bisher nicht.
Bulgarien fordert, dass angesichts der europäischen Sicherheit die Vollanwendung des Schengener Abkommens eine Priorität nicht nur Bulgariens, sondern der EU wird. In der EU denkt man darüber aber offensichtlich anders. Trotz erfüllter technischer Kriterien, und zwar spätestens seit 2012, sind einige EU-Mitgliedsländer, darunter auch das einflussreiche Deutschland, gegen den Beitritt Bulgariens. Zugleich erklärte der Präsident des Europaparlaments, der Deutsche Martin Schulz, gegenüber dem Bulgarischen Rundfunk, die Aufnahme Bulgariens und Rumäniens in den Schengener Raum solle Bestandteil der Debatte über die neue europäische Sicherheitspolitik werden. "Angesichts der wachsenden Anforderung an mehr Sicherheit müssen wir mit Bulgarien und Rumänien über ihre Kapazitäten diskutieren, die EU-Außengrenze zu schützen", sagte er. Wer zwischen den Zeilen lesen kann, der nimmt von dieser Äußerung mit, dass es aus der Schengen-Mitgliedschaft Bulgariens bald nichts wird. Die Gründe sind bereits genannt – die Terrorgefahr des Islamischen Staates und die erwartete neue Flüchtlingswelle aus den Nahen Osten an der bulgarisch-türkischen Grenze.
Eben dank der 100prozentigen Grenzkontrolle an der EU-Außengrenze zwischen Bulgarien und der Türkei konnte in der Silvesternacht den 29jährigen französischen Staatsbürger Fritz-Joly Joachim, beim Ausreisen wohlgemerkt, festgenommen werden. Immerhin ein mutmaßlicher Komplize der Pariser Attentäter Kouachi. Europa möchte im Kampf gegen den Terror aufrüsten. Eben der blutige Anschlag in Paris katalysierte verschiedene Botschaften der EU-Innenminister, die nun laut über einen der Grundpfeiler des Schengener Abkommens nachdenken: Den Wegfall von Kontrollen bei der Einreise in einen Schengenstaat aus einem anderen. "Die Bedrohung durch die Dschihadisten wird nicht geringer, sondern größer. Wir werden die Einrichtung von Grenzkontrollen unterstützen und es ist möglich, dass das Schengen-Abkommen aus diesem Grund geändert werden muss", sagte der spanische Innenminister Jorge Fernández Díaz der Zeitung "El País".
Es ist ganz klar, dass Verbrecher und Terroristen von offenen Grenzen profitieren. Die Ängste der europäischen Politiker teilt auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. "Für eine wirksamere Bekämpfung des Terrorismus müsste auch das Schengen-System verbessert werden", sagte er und kündigte an, die Kommission werde jedenfalls nach dem Außenministerrat im Februar Vorschläge vorlegen. Nachdem Bundesinnenminister Thomas de Maizière bestätigt hat, dass die mutmaßlichen Attentäter von Paris nicht nur auf der Flugverbotsliste der USA standen, sondern auch auf der sogenannten Schengen-Liste zur Beobachtung ausgeschrieben waren, formulierte er auch die neuen Erwartungen an die Schengenstaaten: "Jeder Grenzbeamte an einer europäischen Außengrenze, Schengen-Außengrenze, muss wissen, ob er einen Gefährder, einen Terroristen, einen Reisenden in ein Kampfgebiet vor sich hat", sagte de Maizière.
Angesichts dieser Debatte in der Europäischen Union erscheinen die rein politischen Botschaften aus Sofia nicht unbedingt fundiert. Der nachdrückliche Hinweis, Bulgarien habe die technischen Schengen-Kriterien längst erfüllt, mögen für den internen Gebrauch ausreichen, um jene 60 Prozent der Bürger zu überzeugen, dass Bulgarien in den Schengen-Raum gehört. Er reicht aber bei weitem nicht aus, um die um ihre Sicherheit besorgten EU-Partner Bulgariens zu überzeugen.
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