Sendung auf Deutsch
Textgröße
Bulgarischer Nationaler Rundfunk © 2024 Alle Rechte vorbehalten

1964: „Liebe Heimat“ wird offizielle Nationalhymne Bulgariens

БНР Новини
Foto: BGNES

Nach der Neugründung des bulgarischen Staates 1878 bis zum Jahr 1964 wurde die Nationalhymne mehrmals gewechselt. Während des sogenannten Dritten Bulgarenreiches diente der Marsch „Es rauscht die Maritza“ nicht nur als Hymne des bulgarischen Königshofs, sondern auch als die des Staates. Es war ein militantes patriotisches Lied, das nach dem Machtantritt der Kommunisten in Bulgarien 1944 und dem Wechsel der Staatsform keinesfalls den neuen politischen Orientierungen des Landes entsprach. Und so erklang am 1. Januar 1947 der Marsch „Es rauscht die Maritza“ ein letztes Mal. An seine Stelle trat wiederum ein Marsch – „Sei gegrüßt, unsere Republik“. Zwischenzeitlich wurden die politisch bequemen Schriftsteller Nikola Furnadschiew, Mladen Issajew und Elisaweta Bagrjana an einen Tisch gesetzt, um eine neue Nationalhymne zu schaffen, die schließlich 1951 offiziell bestätigt wurde. Sie lehnte sich in Text und Musik an die Hymne der Sowjetunion an und unterstrich mehr als deutlich die Treue gegenüber dem „großen Bruder“. So heißt es im Text:



„Geliebtes Bulgarien, du Heldenland
unaufhaltsam und mächtig ist dein Aufstieg!
Stetig möge sich der Kampfbund
mit dem großen sowjetischen Brudervolk festigen!

Ruhm dir, unsere freie Republik!
Sei unbeirrbar in deiner Friedenswacht!
Sollte ein Feind unser Heimatland angreifen,
führe uns mutig in den siegreichen Kampf!

Die großartige Sonne von Lenin und Stalin
hat mit ihren Strahlen unseren Weg beleuchtet.
Dimitrow hat unsere Herzen für Heldentaten entflammt,
hat uns im Kampf und bei friedlicher Arbeit geeint.

Wir bauen Werke, graben Minen,
pflügen gemeinsam die breiten Äcker.
Für unsere geliebte, prächtige Heimat sind wir bereit
unsere Arbeit und unser Leben zu geben!“ 

Die Nähe zur Sowjethymne ist selbst in der Melodie unverkennbar. Als Stalin jedoch 1953 starb und in der Sowjetunion ein Prozess der Entstalinisierung einsetzte, sah man sich in Bulgarien gezwungen, den neuen Tendenzen zu folgen. Stalins einbalsamierter Leichnam, der neben Lenin im Lenin-Mausoleum beigesetzt worden war, wurde schließlich 1961 aus dem Mausoleum entfernt und an der Kremlmauer beigesetzt, was ein deutliches Zeichen gab. An Stalin wurde nunmehr offen scharfe Kritik geübt und schnell verschwand sein Name von Straßen- und Stadtschildern.

Auch aus der bulgarischen Hymne sollte sein Name gestrichen werden, was jedoch nicht so einfach war, so dass man gleich an eine neue Hymne dachte. Der Schriftsteller Georgi Dschagarow unterbreitete den Vorschlag, das Lied „Liebe Heimat“ zu wählen. Musik und Text dieses Liedes fußen auf ein altes patriotisches Lied des Intellektuellen Zwetan Radoslawow. Laut den erhaltenen Quellen entstand es in den Jahren zwischen 1883 und 1885. Inspiriert wurde Radoslawow von der tschechischen Hymne „Wo ist meine Heimat?“, während die Musik auf der Melodie eines Reigens aus der Gegend seiner Heimatstadt Swischtow beruht. Das Lied wurde 1895 zum ersten Mal veröffentlicht. Es wurde immer populärer und verwandelte sich in eine inoffizielle Nationalhymne. In Swischtow erzählt man sich die Geschichte, dass Radoslawow das Lied auf einem Donauschiff geschrieben habe, mit dem er 1885 nach Hause zurückkehrte, um sich als Freiwilliger im serbisch-bulgarischen Krieg zu melden. Beim Anblick des bulgarischen Ufers seien ihm die Verse eingefallen. Einige Erforscher seines Werkes sind jedoch der Ansicht, dass das Lied bereits während seiner Studienzeit in Wien entstanden sei. Die Musik selbst hat in den Jahren verschiedene Bearbeitungen erfahren – die wesentlichste 1905 durch den Komponisten Dobri Christow.

1964 wurde das Lied „Stolzes Balkangebirge“ zur Nationalhymne Bulgariens erklärt. Georgi Dschagarow und sein Schriftstellerkollege Dimitar Metodiew bearbeiten den Text. Fast unverändert blieben einzig die erste Strophe und der Refrain, der mit den Worten „Liebe Heimat“ beginnt und der Hymne nunmehr ihren Namen gab. Das Lied endete mit einer neuen dritten Strophe:

„Gemeinsam ihr Brüder Bulgaren,
im Frieden und Kampf steht Moskau hinter uns!
Und du, unermessliche Partei
leite unsere siegreiche Gesellschaftsordnung!“

Mit dieser Strophe erwies sich Bulgarien als einziges Ostblockland, das seine Moskautreue in solcher Weise zur Schau stellte...

Nach der Wende zur Demokratie in Bulgarien 1989 wurde eine Diskussion entfacht, ob nicht die bulgarische Nationalhymne vor dem Machtantritt der Kommunisten 1944 wieder eingeführt werden sollte. Die Mehrheit der Abgeordneten der konstituierenden Volksversammlung stimmte jedoch 1991 für den Verbleib der Hymne, bei Streichung der hinzugefügten kommunistischen Propagandazeilen. Die Nationalhymne Bulgariens besteht nunmehr lediglich aus einer Strophe mit Refrain:



„Stolzes Balkangebirge,
an dem die Donau bläulich schillert,
die Sonne Thrakien erleuchtet,
und den Himmel über dem Pirin rötet.

Liebe Heimat,
du bist das Paradies auf Erden,
deine Schönheit, deine Anmut,
ach, sie sind unendlich.“

Übersetzung und Redaktion: Wladimir Wladimirow



Последвайте ни и в Google News Showcase, за да научите най-важното от деня!

mehr aus dieser Rubrik…

19. April 1997: Iwan Kostow (in der Mitte), Nadeschda Michajlowa (rechts) und Stefan Sofijanski (links) feiern den überzeugenden Wahlsieg der Union der Demokratischen Kräfte.

1997: Ein neuer Anfang

Nach dem Zusammenbruch der Finanzen und der Wirtschaft 1996/97 und dem Sturz der sozialistischen Regierung von Jean Widenow Anfang 1997 schaffte es die geschäftsführende Regierung von Stefan Sofijanski binnen kürzester Zeit, die soziale und politische..

veröffentlicht am 22.08.15 um 10:15

1995-1997: "Die Winter unserer Unzufriedenheit", Teil 2

In der heutigen Ausgabe unserer Rubrik „80 Jahre in 80 Wochen“ wollen wir über die Bankpleiten berichten, die zum Sturz der Regierung von Jean Widenow geführt haben. Nach der Getreidekrise 1995 kam es im Jahr darauf zur Entwertung der bulgarischen..

veröffentlicht am 16.08.15 um 13:20

1996: Die Ermordung von Andrej Lukanow

Der 2. Oktober 1996 wird in unserer jüngsten Geschichte mit der Ermordung eines ehemaligen bulgarischen Ministerpräsidenten – Andrej Lukanow – in Erinnerung bleiben. Er war leider bei weitem nicht der erste. Vor ihm wurden noch sechs andere..

veröffentlicht am 08.08.15 um 12:10