Im Dämmerlicht des ausgehenden Tages versinkt die Sonne träge hinter dem Giginzi-Kloster „Hl. Kosma und Damjan“. Kurz bevor sie endgültig hinter den Bergen verschwindet, flackern die Gebäude rings um die altehrwürdige Klosterkirche in zartem Bonbonrosa auf, das ins Lilafarbene zerfließt. Im diesem Moment von Zeitlosigkeit ertönt aus dem neuen Klosterteil monotoner Gesang. Die Abendandacht hat begonnen, aber ohne Vater Nikanor. Er hatte im nahen Dorf Giginzi zu tun und eilt nun ins Kloster, um wenigstens beim Abendmahl dabei zu sein. Hier, weitab von der Zivilisation, herrschen strenge Regeln. Die wenigen Klosterinsassen leben nach Gottes Willen, den Menschen zu dienen.
„Das Mönchstum ist ein Sakrament, das Sakrament der Erlösung. Man kann es nicht in Worte fassen, man muss es erleben“. Das erwidert Vater Nikanor auf die Frage, warum er sich von seiner vielversprechenden Erfolgskarriere als Wall-Street-Broker abgewandt hat, um an diesem entlegenen Ort nach Gott zu suchen. Der Speisesaal, in dem wir sitzen, ist warm und gemütlich. Man reicht uns knuspriges handgemachtes Brot, das auf der Zunge zergeht. Wir essen, begleitet von Gebeten und in Stille, die nur von Geschirrklappern und dem leisen Geraune der Gäste unterbrochen wird. Pilger und zufällige Touristen, die in dieser Gegend unerwartet von der Nacht eingeholt wurden, suchen oft Zuflucht im Kloster. Hinter seinen Mauern gibt es weder Internet noch Fernsehen und weltliche Unterhaltung. Für die Unterkunft und das leckere hausgemachte Essen brauchen die Besucher nicht aufzukommen. Sollten sie sich aber entscheiden, länger als einen Tag zu verweilen, müssen sie mit Hand anlegen und bei der Arbeit im Kloster helfen. Dafür erhalten sie aber eine günstige Gelegenheit, in die hiesige Atmosphäre einzutauchen und das einfache Leben der Mönche aus der Nähe zu erleben. Voller Wehmut denkt Vater Nikanor zurück an die Zeit seiner Ankunft im Giginzi-Kloster. Damals gab es hier keinen Strom, von warmem Wasser oder Heizung ganz zu schweigen. Auch jetzt ist das Klosterleben ziemlich hart. Die Mönche leben nach den gleichen strengen Vorgaben wie ihre Glaubensbrüder auf Athos.
„Das heißt, dass die individuellen Gebete und die Gottesdienste zu einer Stunde erfolgen, zu der die Seele besonders empfänglich ist“, erläutert Vater Nikanor. „Und wann ist das? Wenn uns keine Gedanken, Sorgen und Eitelkeiten heimsuchen. Zum einen ist das abends, vor dem Zubettgehen und dann gegen 3 Uhr morgens, vor Sonnenaufgang. So bestehen unsere Nächte aus zwei Hälften – in der ersten ruhen wir uns aus, in der zweiten stehen wir auf und beten. Die Liturgien dauern bei uns spätestens bis 8.30 Uhr, denn mit Sonnenaufgang nehmen wir unsere tägliche Arbeit auf, um das Kloster und die Menschen, die uns besuchen, zu umsorgen.“
Nach der vierstündigen nächtlichen Liturgie machen sich die Brüder an die Arbeit. In der Klosterfarm züchten sie Ziegen, Schafe und 90 Büffel. Aus deren Milch stellen sie leckere Bio-Produkte wie Käse, Hartkäse, Joghurt etc. her und bieten sie im kleinen Klosterladen zum Verkauf an. Mit Mitteln aus Spenden und EU-Fonds werden unterschiedliche Reparaturen vorgenommen, ein Glockenturm und eine neue Kirche wurden errichtet, die alte Kirche wird restauriert. Die Geschichte des Giginzi-Klosters ist jedoch voller Irren und Wirren. Von Vater Nikanor erfahren wir, dass das Kloster bereits im 11.-12. Jahrhundert gebaut wurde. Während der türkischen Fremdherrschaft war hier eine Klosterschule untergebracht. Im 18. Jahrhundert wurde das Kloster von den Türken niedergebrannt, um später dank einer Gruppe von Mönchen aus dem Chilendarkloster auf Athos wieder aus der Asche aufzuerstehen. Mit Unterstützung der örtlichen Bevölkerung haben die Mönche die Klosterzellen, die Wirtschaftsgebäude und die alte Einschiffkirche erbaut. Zu sozialistischen Zeiten wurden anfangs sogenannte Volksfeinde ins Giginzi-Kloster verbannt, später wurde es in ein Pionierlager verwandelt. Es gab aber auch Zeiten, in denen die verwitterten Klosterzellen vollkommen verwahrlost und als ... Stall genutzt wurden. Erst gegen Ende der 90er Jahre wurde das Kloster wieder eingeweiht. Man begann, die Klosterwirtschaft neu aufzubauen und die von den Kommunisten beschlagnahmten Klosterbesitztümer zurückzuerwerben. Und so kam es, dass das Giginzi-Kloster allmählich zu neuem Leben erweckt wurde und sich in einen Ort stiller Einkehr und Besinnung verwandelte, wo man wieder zu sich und zu Gott finden kann.
Übersetzung: Rossiza Radulowa
Fotos: Weneta Nikolowa
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