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Der Kampf der Grünen geht weiter

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Szene aus dem Film "Atme"
Foto: www.cinefish.bg

Im Gegensatz zu anderen osteuropäischen Staaten keimte die antikommunistische Dissidentenbewegung in Bulgarien auf ökologischem Nährboden. Auch 25 Jahre danach sind die meisten Straßenproteste von der grünen Idee inspiriert. Die Generationen haben sich gewandelt, der Kampf ist der gleiche geblieben. Auch heute fordert man das Recht auf eine saubere Umwelt sowie saubere Hände, Verstand und Herz in der Politik ein.

Alles begann mit dem Dokumentarfilm "Atme" über die permanent mit Chlorverbindungen verpestete Luft in Russe, der u.a. von unserem ehemaligen Kollegen Wiolet Zekow gedreht wurde. Der Streifen hält die in Bulgarien erste spontane Protestdemonstration von Müttern aus Russe fest, die mit ihrem gefährdeten Nachwuchs in den Kinderwagen auf die Straße gingen. "Das war nicht im Drehbuch geplant, sondern ein glücklicher Umstand", erzählt Stefan Sedmakow, ein enger Freund von Wiolet. Beide gehören zu den Gründern der ersten unabhängigen Bürgerbewegung "Ekoglasnost", die von den neuen Ideen Gorbatschows beflügelt wurde. Der Film "Atme" ist erschütternd. Nach der ersten Vorstellung im Haus des Kinos in Sofia sind die Anwesenden aufgefordert, einen Öffentlichen Ausschuss für den Umweltschutz in Russe zu formieren. Das geschieht im März 1988, anderthalb Jahre vor dem Fall des Kommunismus. Im April 1989 weitet sich der s.g. Russener Ausschuss zur Unabhängigen Bewegung "Ekoglasnost" aus, die in einer Sofioter Wohnung gegründet wird. Die Wohnung gehört Alexandar Karakatschanow, dem früheren Parteichef der Grünen, der ersten politischen Organisation nach dem Fall der Berliner Mauer.

Aus heutiger Sicht mutet all das recht naiv an. Jedoch bargen derartige Aktivitäten gegen die Regierung selbst ausgangs der kommunistischen Ära ernsthafte Risiken und erforderten Zivilcourage. Im Zuge des im Oktober 1989 in Sofia stattfindenden Umweltschutztreffens der KSZE begann man im Park vor dem Kristall-Cafe in der Sofioter Innenstadt mit der öffentlichen Sammlung von Unterschriften. Zunächst gegen den geplanten Bau einer Wasserkaskade im Rila-Gebirge, wofür die Fließrichtung der im Rilagebirge entspringenden Flüsse Mesta und Struma umgekehrt werden sollte. Am 26. Oktober werden die Aktivisten von zivilen Polizisten oder Geheimdienstlern mit Gewalt vertrieben, mehrere werden verhaftet. Im Handgemenge kommt auch ein britischer BBC-Journalist zu Schaden.

Stefan SedmakowStefan Sedmakow erzählt über die Atmosphäre der Angst in jenen Tagen. Im Vorfeld des Ökoforums ist er einer der Ekoglasnost-Aktivisten, die in den Morgenstunden, in denen die meisten Menschen zur Arbeit fahren, Protestplakate an die Haltestellen kleben. Seinem Team gehören sein Bruder Ljubomir und der Dichter Edwin Sugarew an, der später zu einer Schlüsselfigur im Kampf gegen den Kommunismus wird.

"Das waren sehr emotionsgeladene Erlebnisse", erinnert sich Stefan Sedmakow. "Sicher hatte ich auch Angst dabei, da jederzeit jemand in Uniform auftauchen und uns verhaften konnte. Das ist uns erspart geblieben. Nie werde ich jedoch die verblüffende Reaktion der Menschen an den Haltestellen vergessen. Wir begannen, die Plakate anzukleben und die Leute um uns herum taten so, als ob wir Luft wären, als ob sie uns nicht sehen würden. Sie waren starr vor Angst. Das war ein ganz eigenartiges Gefühl."

Stefan Sedmakow bewahrt eine weitere unvergessliche Erinnerung aus jener Zeit auf - von der ersten Massenprotestparade in den letzten Tagen des Kommunismus. Damals wusste allerdings niemand, dass es die letzten sind... Am 3. November 1989 machen sich zwischen 3.000 und 7.000 Leute in Richtung Parlament auf, um dort die über 12.000 gesammelten Unterschriften gegen den Bau der Rila-Kaskade einzubringen.

"Dabei waren zwei Dinge besonders beeindruckend. Als die Massen loszogen, hatte irgendjemand die Idee, das Lied `Schön bist du, mein Wald` zu singen, das dann aus Tausenden Kehlen erklang. Fast gleichzeitig begannen die Glocken der Alexander-Newski-Kathedrale zu läuten, was für riesige Begeisterung sorgte. Und als wir dann vor dem Parlament auf die Entgegennahme unserer Unterschriften warteten, skandierten die Massen zum ersten Mal `Demokratie`."

Als Pioniere der bulgarischen Dissidentenbewegung gegen Ende der kommunistischen Ära spielten die Ekoglasnost-Aktivisten eine entscheidende Rolle bei der Bildung der ersten antikommunistischen Oppositionspartei SDS ausgangs des Jahres 1989. Fast alle Ekoglasnost-Kandidaten werden als Abgeordnete in die Große Volksversammlung, in das erste postkommunistische Parlament gewählt. Aus den Reihen der Grünen Partei, die aus dem Kern der Ekoglasnost-Bewegung hervorging, kamen zwei künftige Ministerpräsidenten des Landes - Filip Dimitrow und Iwan Kostow. Auf diesen Sachverhalt weist uns Borislaw Sandow hin, Mitvorsitzender der 2008 gegründeten Grünen, die die Verfechter der grünen Idee der Nachfolgergeneration vereint, d.h. all diejenigen, die nach der kommunistischen Ära geboren wurden. Sie verstehen sich als Ideenerben ihrer Ekoglasnost-Vorgänger.

Die grüne Bürgeridee in Bulgarien macht mehrere Phasen durch. In den 1990ern werden die moralischen Umweltforderungen durch andere, fundamentalere Forderungen wie Demokratie, Freiheit, Rechtsstaat abgelöst. Das aufgebaute Expertenpotential "professionalisiert sich", es entstehen zahlreiche Umweltorganisationen, die sich europäischen Umweltschutzprojekten zuwenden. Die Straßenprosteste flauen ab. Bis zum Bauboom unserer Hotelanlagen an der Schwarzmeerküste zu Beginn unseres Jahrhunderts, der eine Protestwelle auslöst, die vor allem von der jungen Generation angeführt wird.

Die erste Salve dieser jungen und starken Umweltbewegung, vereint in der Koalition "Damit die Natur in Bulgarien erhalten bleibt", war der Strandschutz in der Irakli-Gegend. Die Adlerbrücke in Sofia wiederum wurde zu ihrem "Kristall-Cafe". Die sich an der Adlerbrücke häufenden Jugendproteste zu verschiedenen Umweltbelangen waren ein Zeichen der erneut erwachenden Zivilgesellschaft, die von 2012-2014 zwei Regierungen zu Fall brachte und klar zu verstehen gab, dass die Straße auch künftig ein Korrektiv der Machthaber bleiben wird. Darüber hinaus setzt sich die junge Partei der Grünen für eine saubere Umwelt und eine neue Moral in der Politik ein. Das ist vor allem für ihre Stammwählerschaft von Bedeutung. Denn die Anhänger der grünen Bewegung sind stark allergisch gegen alles Politische und halten die Politik für "ein schmutziges Geschäft".

"Die Politik ist ein schmutziges Unterfangen, das wir vor allem Schuften überlassen haben", opponiert Borislaw. "Proteste allein sind nicht genug. Wir müssen die Dinge ändern, d.h. in die Politik gehen. Die Jugendlichen sind sich nicht bewusst, dass sie als Protestteilnehmer bereits politisch aktiv sind. Auch ich habe das erst später verstanden. Als Student konnte ich mir nicht vorstellen, mich mit Politik zu befassen, obwohl ich als Demonstrant de facto bereits politisch aktiv war. Deshalb haben wir, die Grünen, von Anfang an klargestellt, dass wir keine moralischen Zugeständnisse machen, die uns von unserem langfristigen Zielen abbringen."

Diese antipolitische Haltung birgt die Erklärung für das Paradox,  dass die Grünen es noch nicht ins Parlament geschafft haben, wogegen ihre Straßenaktionen und die mit der Koalition "Damit die Natur in Bulgarien erhalten bleibt" angestrengten Gerichtsverfahren zu Novellen von wichtigen Gesetzen geführt und viele Projekte gestoppt haben, die die Natur gefährden. Ihr Verdienst sind die Aufnahme von 34% des bulgarischen Landesgebiets in das europäische Natura2000-Netz, Novellen zum Forstgesetz, das Zyanidverbot bei der Goldgewinnung, das Verbot für gentechnisch veränderte Organismen in Bulgarien, das Verbot zur Schiefergasförderung, die Förderung der Biolandwirtschaft und die Entwicklung eines nachhaltigen Alternativtourismus.

Wie ihre Ekoglasnost-Vorgänger, die 1989 die Unterstützung des Umweltschutztreffens der KSZE suchten, haben die jungen Grünen in Bulgarien in der Europäischen Union und ihren Umweltgesetzen einen starken Verbündeten. Im Zuge der Anzeigen verschiedener Umweltorganisationen hat die Europäische Kommission wegen Nichteinhaltung der Umweltrichtlinien über ein Dutzend Strafverfahren gegen Bulgarien eingeleitet. Der Kampf geht weiter.

Übersetzung: Christine Christov



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