Das Jahr 1950 ist für den Bulgarischen Nationalen Rundfunk mit einem besonderen Ereignis verbunden: sein Tonarchiv wurde „gesäubert“ und „unpassende“ Aufnahmen entfernt. Aus dem Archiv wurden Nazi-Lieder und Militärmärsche sowie andere ungeeignete Aufnahmen entfernt.
Bulgarien war im Zweiten Weltkrieg ein Verbündeter von dem nationalsozialistischen Deutschland und dem faschistischen Italien. Auch wenn Bulgarien nach der Machtübernahme der Volksfrontregierung am 9. September 1944 mit vielen Opfern zur Zerschlagung der deutschen Wehrmacht und zur Befreiung von Jugoslawien, Ungarn und Österreich beigetragen hat, wurde unser Land weiter als Verbündeter von Deutschland behandelt. Bulgarien wurde z.B. trotz wiederholter Anträge nicht in die Vereinten Nationen aufgenommen. Unser Land wurde erst 1955 UNO-Mitglied. Deswegen ist die Entfernung von Nazi-Liedern und Märschen aus dem Radioarchiv 1950 verständlich. Hier der Zeitzeugenbericht des Tonregisseurs und langjährigen Mitarbeiters des Rundfunks Iwan Hadjiski, mit dem Silva Tichowa sprach:
„Es ist so ein Fall bekannt, dass nach dem 9. September 1944 viele Schallplatten zerschlagen, speziell vernichtet wurden, weil sie eine „unpassende“ Musik enthielten.
Wir bildeten eine Kommission - die Chefin der Phonothek Penka Nikolowa und ich, um die Diskothek zu überprüfen, denn damals gab es kaum Tonbänder. Wir kontrollierten nach dem Inhaltsverzeichnis, welche Bänder wir hatten und welche wir aus dem Ausland erhalten haben. Alle Schallplatten mit Nazi-Liedern, Nazi-Märschen, mit Wagner, der Lieblingsmusik von Hitler, wurden vernichtet. Wir haben sie im Untergeschoss verbrannt. Viele Aufnahmen haben wir damals vernichtet. Wir haben nur einen Teil von ihnen beibehalten – Nazi-Märsche, die wir für die Hörspiele brauchten.“
Hatten Sie genaue Anweisungen, was vernichtet werden soll?
„Die Kommission hörte sie sich an. Wir boten ihnen die Titel und den Inhalt an, worum es in dem Lied geht.“
Die Kommission bestand aus Redakteuren oder aus Menschen von außerhalb des Rundfunks?
„Es gab Redakteure und auch Menschen von außerhalb.“
Wurde der Kommission die Menge des zu vernichtenden Archivs vorgegeben?
„Ja, und der Rundfunkdirektor musste unbedingt unterschreiben. Wir haben viele Aufnahmen vernichtet, darunter auch sehr wertvolle.“
In welchem Jahr geschah das?
„Ich kann nicht genau sagen, aber in dieser Zeit – den Jahren 1950-1951. Das war die stürmischste Zeit der Transformation des Rundfunks von einem Sendesystem zum anderen. Unser System war zentralisiert.“
Die neue Leitung des bulgarischen Rundfunks war sich offensichtlich des Wertes des Tonarchivs bewusst und im Jahre 1957 wurde das Goldene Tonarchiv gegründet, das die wertvollen Tonaufnahmen für die Geschichte aufbewahren soll. Dank dieser Entscheidung verfügt unser Haus, der Bulgarische Nationale Rundfunk, heute in seinem Archiv über 500.000 Aufnahmen, die das akustische Gedächtnis Bulgariens und Europas sind. In diesen 110.000 Stunden Tondokumente sind die Stimmen von solchen großen bulgarischen Künstlern wie der Komponist Pantscho Wladigerow, der Maler Wladimir Dimitrow-Majstora oder des Schauspielers Konstantin Kissimow zu finden. Aber auch von Zar Boris III., Lew Tolstoj, Albert Einstein, Sergej Essenin. Bewahrt wurden Aufnahmen auch von Persönlichkeiten, die aus verschiedenen Gründen zu verschiedenen Zeiten in Ungnade gefallen waren, wie die Leiterin des Tonarchivs Sylvia Emirjan berichtet. Das Problem heute ist es, diese wertvollen Tondokumente vor dem Zahn der Zeit zu retten und sie zu digitalisieren, um sie der bulgarischen und internationalen Öffentlichkeit zugänglich zu machen, etwa im Rahmen des Europeana-Projektes.
Und was sonst noch 1950 in Bulgarien neben der „Entnazifizierung“ des Rundfunkarchivs passierte?
Es war ein Höhepunkt der Kooperierung der Landwirtschaft, bei dem die privaten Landwirte freiwillig und nicht so freiwillig den Genossenschaften beitraten.
Es wurde eine Amnestie für die Personen erlassen, die das Land illegal verlassen hatten und sich im Ausland aufhielten.
Die Entwicklung der bulgarischen Wissenschaft wurde gestärkt. Es wurden drei neue Institute der wissenschaftlichen Haupteinrichtung, der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften, gegründet – für Technik, Geographie und Pädagogik. Außerhalb der Akademie der Wissenschaften wurden in der südbulgarischen Stadt Plowdiw Forschungsinstitute für Tabak und Obstbau gegründet, die einen wesentlichen Beitrag zum Aufschwung der bulgarischen Landwirtschaft leisteten. Führende Wissenschaftler wurden mit staatlichen Preisen geehrt.
Der erste bulgarische Spielfilm, der in Bulgarien nach dem Krieg gemacht wurde – „Kalin, der Adler“ kam in die Kinos.
In Sofia wurde die wichtigste Einrichtung der Notfallmedizin in Bulgarien – das Institut „Pirogow“ eröffnet.
Bulgarien wurde von einer DDR-Abordnung unter Walter Ulbricht besucht.
Übersetzung und Redaktion: Vladimir Daskalov
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