Das Dorf Wlahi liegt mitten im Herzen des Naturparks Pirin. Vor knapp hundert Jahren haben hier etwa 2.000 Menschen gelebt, heute sind von den Einheimischen nur noch Oma Kira und Opa Mite übrig. Das warme Klima und die reiche Biovielfalt haben aber bewirkt, dass in den letzten Jahren ein Dutzend „bunter Paradiesvögel“ aus der Stadt hier angeflattert kam. Das sind aber nicht Abenteurer schlechthin, sondern Naturliebhaber, für die nachhaltige Lebensführung kein leerer Begriff ist, sondern eine bewusste Entscheidung.
2003 hat die Vereinigung für Freiwilligenarbeit CVS-Bulgarien (Cooperation für Voluntary Service) bei einer Ausschreibung die leer stehende Schule im Dorf Wlahi erworben. Mit viel Einsatz und auf die Erhaltung der Natur bedacht, haben Freiwillige aus dem In- und Ausland das Gebäude unter Verwendung natürlicher Baustoffe saniert. Zu diesem Zweck haben sie unter anderem Naturholz verwendet und Lehm aus der nahen Umgebung, aus dem die Ziegel geformt wurden. Nun ist die „Schule für die Natur“ ein Öko-Zentrum mit langfristigen Initiativen, in dem Kinder und Erwachsene lernen können, ein Leben inmitten freier Natur zu führen. Selbst nach einem zweitägigen Aufenthalt hier erhält man wertvolles Wissen über traditionelle Viehzucht und Gartenbau, Wildkräuter, Gewürzpflanzen und Pilze, Energieeffizienz, Wasserreinigung und Kompostierung.
Die idyllische Stille im Dorf ohne Internet wird einzig vom starken Bellen der riesigen Karakatschan-Hirtenhunde gestört. Diese „Berg-Löwen“ wachen über Schafe, Langhaarziegen und Pferde, die ebenfalls örtlichen Karakatschan-Rassen entstammen. Die Tiere gehören einer jungen Familie, die aus der Großstadt nach Wlahi gezogen ist. Die letzten 15 Jahre hat sie sich der Idee verschrieben, vom Ausstreben bedrohte Tierarten aufzutreiben und zu züchten, die sich die Vereinigung zur Erhaltung der Artenvielfalt „Semperviva“ (Bulgaria Biodiversity Societa Semperviva) auf die Fahne geschrieben hat. Im Rahmen eines wissenschaftlichen Projekts adoptieren sie auch große Raubtiere aus zoologischen Gärten oder Jagdvereinen. Die Tiere sind an Menschen gewöhnt und könnten in freier Wildbahn nicht überleben, werden deshalb in weiten Gehegen gehalten, die maximal ihren natürlichen Habitaten gleichen. So haben die Bären Medo und Mascha und der Wolf Bajto in Wlahi ein neues Zuhause gefunden. In Begleitung des Projekt-Koordinators können Sie sich diesen bemerkenswerten Tieren nähern. Wenn sich die kleine Mascha auf die Hinterbeine stellt, um Sie neugierig aus der Nähe beäugen zu können, können Sie kaum der Versuchung widerstehen, sie in die Arme zu schließen. Der Besuch bei den wilden Tieren ist kostenlos, man kann aber Geld für ihr Futter spenden. Für die besonders Wissbegierigen hat die „Balkani Wildlife Society“ auch ein Bildungszentrum geschaffen, wo eine interaktive Ausstellung Aufschluss über Herkunft und Lebensführung der großen Raubtiere gibt.
Wenn Sie dann, matt von der starken Sonne, zum Wasserfall Wlahinsko Praskalo wandern, werden Sie feststellen, dass es nichts erfrischenderes gibt als kristallklares Bergwasser, das aus einer Höhe von 25 Metern in die Tiefe rauscht. Ohne jeden Zweifel wird Sie die schöne und unberührte Natur von Wlahi zu einer achtstündigen Wanderung vom Dorf über den Gipfel Baba bis zur Berghütte „Sinaniza“ inspirieren.
Das Dorf Wlahi liegt nur eine halbe Fahrstunde vom Städtchen Kresna entfernt, die Straße dorthin ist teilweise asphaltiert. Die Rückfahrt gestaltet sich allerdings etwas schwieriger. Wenn man erst einmal den Duft wilder Minze eingeatmet hat, den Geschmack von frischem Ziegenkäse auf der Zunge hat und die Gastfreundschaft der neuen Dorfbewohner spürt, kommt in einem der Wunsch auf, einen weiteren Schritt nach vorne zu tun – den Schritt vom leichten Dasein als Verbraucher zu einer nachhaltigen Existenz inmitten unberührter Natur.
Übersetzung: Rossiza Radulowa
Fotos: Maria Peewa
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