Bulgarien wird derzeit vom größten Bankenskandal seit 1996 erschüttert. Vor rund einem Monat begannen die Probleme der Korporativen Handelsbank KTB. Das für seinen politischen und Medieneinfluss bekannte Geldinstitut geriet in eine Liquiditätskrise und forderte von der Notenbank, unter Sonderaufsicht gestellt zu werden. Die Bankenaufsicht und unabhängige Wirtschaftsprüfer haben seitdem die Aktiva und Passiva der KTB und ihrer Tochtergesellschaft Credit Agricole Bulgaria geprüft. Am vergangenen Freitag hat die bulgarische Nationalbank BNB ihren Bericht veröffentlicht, laut dem die KTB, die viertgrößte Bank des Landes, mit umgerechnet 1,8 Milliarden Euro im Minus steht.
Mehr noch – für die entsprechenden Kredite sollen die Unterlagen vernichtet worden sein, schloss Notenbank-Präsident Iwan Iskrow nicht aus. Die Prüfung der KTB stellte fest, dass die Bank zwei von drei Krediten unter äußerst umstrittenen Bedingungen vergeben hat. Hinzu kommt, dass die Darlehen an Firmen und Personen gewährt worden sind, die mit dem Mehrheitseigner der KTB, Zwetan Wassilew, eng verbunden sind. Der angeschlagenen Bank wird nun die Lizenz entzogen. Alle Konten von Privatpersonen und Firmen werden der Tochtergesellschaft der KTB, Credit Agricole Bulgaria, übertragen, die verstaatlicht werden soll. Das gab BNB-Präsident Iwan Iskrow bekannt. Er betonte ausdrücklich, dass die Aktiva des Mehrheitseigners Wassilew sowie von Firmen und Personen, die mit ihm in Verbindung stehen, vom staatlichen Garantiefonds nicht gedeckt werden. Zudem sollen jüngst knapp 106 Millionen Euro im Namen des Hauptaktionärs Wassilew abgehoben worden sein. Mittlerweile spricht die Staatsanwaltschaft von einer Scheintransaktion zur Tarnung seit 2011 fehlender Aktiva.
Um den entstandenen Schaden zu begrenzen und eine Ansteckung auf den gesamten Bankensektor zu verhindern sollen neue Staatsanleihen in Höhe von bis zur einer Milliarde Euro ausgegeben werden, kündigte der Finanzminister Peter Tschobanow an. Er äußerte außerdem Bedenken, dass Bulgarien durch die Bankenkrise erstmals seit seinem EU-Beitritt die Maastrichtkriterien von einem Haushaltsdefizit von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht einhalten können wird.
Soweit die Tatsachen. Die Pressekonferenz der Zentralbank BNB am Freitag warf allerdings mindestens genauso viele neue Fragen auf, als sie beantworten konnte. Wie ist es möglich, dass die Notenbank von der, gelinde gesagt, fragwürdigen Kreditpolitik des viertgrößten Geldinstitutes im Land nichts mitbekommt? Ist es Zufall, dass die Staatsanwaltschaft nur wenige Tage vor der Liquiditätskrise in der KTB Ermittlungen gegen den Leiter der Bankenaufsicht in der Zentralbank eingeleitet hat?
Gegen das bankrotte Geldinstitut wird nun ermittelt, da der Verdacht des vorsätzlichen Missbrauchs besteht. Bulgariens Innenminister Zwetlin Jowtschew sprach von einem "schweren kriminellen Verbrechen" bei der angeschlagenen Bank. Die Polizei nahm unterdessen vier hochrangige Mitarbeiter der Bank – einen Mann und drei Frauen – fest. Zwei davon befinden sich weiter in Untersuchungshaft, einer steht unter Hausarrest, der vierte wurde gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt. Der Mann soll das Abheben großer Geldsummen angeordnet haben. Bei einer der Frauen seien Säcke voller Banknoten in harten Währungen sichergestellt worden.
Unterdessen sah sich der Mehrheitseigner der Bank, Zwetan Wassilew, veranlasst, sich aus Wien, wo er sich seit Wochen aufhält, ebenfalls zu Wort zu melden. In einem offenen Brief an den Zentralbank-Chef bestreitet er ein Fehlverhalten. Die Prüfer hätten Dokumente über Verluste der Bank gefälscht. Die Zentralbank Bulgariens stelle sich in den Dienst der Schuldner, die ihre Kredite nicht zurückzahlen wollten. Zudem wollten einige Beteiligte die Vermögenswerte der KTB billig aufkaufen.
Die Zentralbank beabsichtigt, alle Einlagen der KTB-Kunden im vollen Umfang zu decken. EU-weit gilt, so auch in Bulgarien, dass der staatliche Einlagensicherungsfonds Summen bis zu 100.000 Euro deckt.
Darüber und über andere dringende Themen der Finanzstabilität des Landes wird am Montag Nachmittag beim Präsidenten beraten. Rossen Plewneliew hat wegen des Bankenskandals Ministerpräsident Plamen Orescharski, Nationalbankchef Iwan Iskrow, Finanzminister Peter Tschobanow und den Generalstaatsanwalt Sotir Zazarow zu Krisengesprächen einberufen.
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