Seit 1994 wird am 3. Mai auf die Verletzungen der Pressefreiheit aufmerksam gemacht. Bulgarien hat so seine Probleme mit diesem Thema – das Land rutscht seit Jahren in der Rangliste der Pressefreiheit ab, die von "Reporter ohne Grenzen" jährlich veröffentlicht wird. Aktuell steht das Land auf Rang 80 und ist somit EU-Schlusslicht.
Nun stehen wir am Vorabend der EU-Wahl am 25. Mai. Der Wahlkampf wird parteiübergreifend auch in den Medien geführt. Für die Medien sind Wahlen mit der Erntezeit der Landwirte zu vergleichen. Es locken verlockende Angebote der Parteizentralen für das "journalistische Covering" von Wahlkampfveranstaltungen. Binnen vier Wochen, solange der offizielle Wahlkampf dauert, können also Medien ihre Kassen füllen.
"Der Spitzenkandidat XY hat eine Nähefabrik in Petritsch besucht und mit den Näherinnen und der Geschäftsführung über soziale Themen und Arbeitsrecht diskutiert." Selbst so eine belanglose Meldung schafft es in Wahlkampfszeiten auf die Seiten der Zeitungen. In Wahlkampfzeiten verwandeln sich nämlich zahlreiche bulgarische Tageszeitungen, TV- und Radiosender in eine Art Werbeagenturen für politische Propaganda. Diese Dienstleistung hat auch einen Namen: "Wahlkampfberichterstattung". Und sie kostet was. Sie kostet viel. Und bei weitem nicht jede Parteizentrale kann sich diese Dienstleistung leisten. In den letzten Jahren hat sich die Praxis, redaktionellen Raum für politische Zwecke zu verkaufen, so weit verbreitet, dass die Journalisten und das Publikum die Grenze zwischen Journalismus und Propaganda nicht mehr erkennen. Nur wenige Redaktionen leisten sich den Luxus, getarnte Wahlberichterstattung in der Form redaktioneller Texte abzulehnen, weil sie in der Regel finanziell gar nicht gut da stehen. Die Einnahmen in den vier Wochen Wahlkampf sind für viele, meist kleine regionale Medien in Bulgarien lebensnotwendig. Sie hängen am Tropf. Das belegen auch die Zahlen. Während des Wahlkampfes für die Parlamentswahlen vor einem Jahr machten die als redaktionelle Beiträge getarnten Publikationen 30 bis 40 Prozent des Anzeigenanteils der Zeitungen und Radiosender in Bulgarien aus. Im Fernsehgeschäft ist es nicht so krass, da sich das Fernsehen in der Regel die Rosinen auf dem Anzeigenmarkt auspicken darf.
In den bulgarischen Medien erscheint neben den als Parteiwerbung deutlich gekennzeichneten Berichten auch oftmals getarnte Parteipropaganda, für die bezahlt wird. Die als redaktioneller Inhalt getarnten Wahlkampfberichte sind Gegenstand konkreter Verträge. Es ist also gewollt, dass die Parteipropaganda "versteckt" wird. "So wirken die Texte glaubwürdiger. Niemand würde sich einen Text durchlesen, wenn er von vornherein weiß, dass es sich um einen Wahlkampfbericht handelt." So die simple Begründung eines langjährigen PR-Experten. Und so kann es durchaus vorkommen, dass zwei vollkommen unterschiedliche Berichte zu ein und demselben Ereignis nebeneinander abgedruckt werden.
Das Wahlgesetz und das Rundfunkgesetz schreiben natürlich andere Normen vor. Wahlwerbung ist als solche vom redaktionellen Inhalt klar und deutlich zu trennen. Daran halten sich die Redaktionen auch. Und veröffentlichen darüber hinaus Berichte, für welche sie separat Geld kassieren. "So schön auch die Gesetze sein mögen, das Problem besteht darin, dass sich niemand daran hält", resigniert ein bekannter bulgarischer Journalist. Noch schlimmer sei, dass auch das Publikum, also Leser, Zuschauer und Hörer, keine Trennlinie mehr zwischen Journalismus und Parteipropaganda sehen, und auch keine Trennlinie mehr erwarten.
Die Medienlandschaft in Bulgarien wird von morgens bis abends von Politikern dominiert. Im Frühstücksfernsehen treten Politiker auf. Im Mittagsmagazin werden Politiker interviewt. Und auch abends, beim Tagesrückblick, haben wieder die Politiker das Wort. Am Wochenende sowieso. Populismus und politische Arroganz von früh bis spät. Dann dürfen sich diese Politiker nicht weiter wundern, dass ihr Publikum, also wir alle, politikverdrossen sind. Und nicht wählen gehen. Denn die chronisch niedrige Wahlbeteiligung in Bulgarien ist auch eine Folge dieser Medienpolitik. Der Verkauf von redaktionellem Raum während des Wahlkampfes mag vielen Medien das Leben retten. Es fließt Geld rein, das sie dringend brauchen. Langfristig aber verlieren sie ihren größten Trumpf – ihre Glaubwürdigkeit.
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