In der Kirche des einstigen Dorfes, die der Entschlafung der Gottesmutter geweiht ist, wird eine Ikone aufbewahrt, der man wundertätige Kräfte nachsagt. Genau zwei Wochen vor Ostern, wenn die orthodoxe Kirche das Fest „Akathistos an die allerheiligste Gottesgebärerin und immerwährende Jungfrau Maria“ begeht, finden sich in der Kirche Gläubige von nah und fern ein. Das Fest selbst gehört zu den beweglichen Feiertagen, weil sein Datum vom Fest der Auferstehung Christi abhängt. In diesem Jahr findet es am 5. April statt.
Neben dem gewöhnlichen Festtagsgottesdienst und der traditionellen (da Fastenzeit) fleischfreien Opferlammsuppe, zelebrieren die Menschen Rituale, die noch aus heidnischer Zeit stammen und auf einzigartige Weise in das Gewandt der christlichen Tradition gekleidet sind. Dazu gehört das Übernachten in der Kirche unmittelbar vor dem Fest. Man glaubt, dass dann die Kraft dieses heiligen Ortes besonders stark sei. Der Schutzpatron der Kirche würde zur Erde herabsteigen und die Gebete der Gläubigen erhören. An dem Brauch, genannt „goldener Apfel“, beteiligen sich Frauen und Ehepaare, denen der Kindersegen verwehrt ist. Vom „goldenen Apfel“ erhoffen sie sich die Erfüllung ihres Kinderwunsches.
Eines der Symbole des Festes ist natürlich der Apfel. Man begegnet ihm nicht nur im Namen des Brauchs, sondern auch in der Ausschmückung der Kirche. Bereits am ersten Tag der großen Fastenzeit vor Ostern wird die Ikonostase und vor allem die wundertätige Muttergottesikone mit Äpfeln und allerlei Blumengebinden geschmückt. In den Altarraum werden etliche große Körbe voller Äpfel gestellt, die dort quasi über Nacht eine Weihe erhalten. Anderntags werden die Früchte nach dem Gottesdienst an die Gläubigen verteilt. Die Äpfel sollen Gesundheit bescheren und speziell den Paaren den Kindersegen bringen. Dazu müssen sie jedoch folgendes Ritual vollführen:
Als Bedingung müssen die Eheleute wenigsten einige Tage zuvor gefastet haben. Nun teilen sie sich den Apfel in zwei gleiche Teile und essen ihn anderen Morgens auf nüchternen Magen zusammen mit den Kernen. Die Einheimischen erzählen verschiedne Geschichten über die Herkunft dieses Brauchs. Einer zufolge hätten die Eltern der Gottesmutter Maria, Joachim und Anna, die lange Jahre vergeblich auf ein Kind gewartet hatten, von einem himmlischen Boten zwei goldene Äpfel erhalten. Nachdem sie diese gegessen haben, sei Anna auf wundersame Weise schwanger geworden.
Eine andere Legende weiß zu berichten, dass am Tag Mariä Verkündigung, der Erzengel Gabriel der Jungfrau Maria einen goldenen Apfel gereicht habe. Sie hätte davon abgebissen und das Wunder der Empfängnis habe sich ereignet. Diese Überlieferung scheint auf einem der Bilder in der Kirche eine Bestätigung zu finden, obwohl es sich nicht um eine Ikone im eigentlichen Sinn des Wortes handelt. Maria ist mit einem goldenen Apfel in der Hand zu sehen. Hinter ihr steht der Erzengel, der die frohe Botschaft überbracht hat.
In dem Dorf erzählt man sich aber auch eine andere Geschichte. Einst lebte dort eine kranke kinderlose Frau, die an dem Akathistos-Fest um Erfüllung ihres Kinderwunsches in der Kirche beten und gleichzeitig auch am Abendmahl teilnehmen wollte. Wegen ihrer Krankheit kam sie jedoch zu spät. Der Priester war gerührt von den Tränen der Frau und gab ihr einen Apfel, den jemand als Gabe vor die Gottesmutterikone gelegt hatte. Die bekümmerte Frau aß ihn aus Trost und wurde nicht nur gesund, sondern brachte dann auch ein kerngesundes und hübsches Kind zur Welt. Aus Dankbarkeit ließ sie einen Apfel aus Gold anfertigen und schenkte ihn der Ikone.
Ein weiteres interessantes Ritual zum Tag des „goldenen Apfels“ besteht im Anfertigen eines sogenannten Kindersegen-Gürtels. Dabei wird ein Baumwollfaden drei Mal um die Kirche gewickelt. Danach legt man den Faden zusammen und fertigt eine Kordelschnur in Form eines Gürtels an. Diesen gibt man einer Frau, die gern ein Kind haben möchte. Sie legt ihn an und muss ihn im Verlauf von 40 Tagen unentwegt tragen. Man glaubt, dass in dieser Zeit eine Schwangerschaft eintreten werde. Dieser Brauch hängt wahrscheinlich mit der christlichen Verehrung des Mariengürtels zusammen, aber auch mit anderen alten Bräuchen, bei denen Trachtengürtel angelegt werden, die Empfängnis und eine leichte Geburt bescheren sollen.
Wiederum eine örtliche Legende berichtet, dass sich einst an diesem Festtag in Gorni Woden ein doppeltes Wunder ereignet habe. Am Vorabend der Kirchenfeier träumte eine kinderlose Frau, dass sie anderen Morgens an der Kirchentür einer Unbekannten begegnen werde, die ihr drei Zwirnsrollen geben werde. Daraus solle sie sich einen Gürtel machen und ihn tragen, bis sie schwanger werde. In der gleichen Nacht träumte eine andere Frau des Dorfes, die einen hoffnungslos an Tuberkulose erkrankten Sohn hatte, dass sie am anderen Morgen drei Zwirnsrollen von Zuhause nehmen und an der Kirchetür einer Unbekannten reichen müsse. Nur so würde ihr Sohn genesen. Beide Frauen taten, was ihnen im Traum angewiesen wurde und das doppelte Wunder trat ein: der Kinderwunsch der einen Frau ging in Erfüllung und der Sohn der anderen Frau wurde gesund.
Bis zum heutigen Tage erzählt man sich in Gorni Woden allerlei wundersame Geschichten, in denen der Brauch „goldener Apfel“ kinderlosen Frauen geholfen habe. Und tatsächlich kommen viele Paare wieder und bringen für die Erfüllung ihres Kinderwunsches Geschenke in die Muttergotteskirche.
Übersetzung und Redaktion: Wladimir Wladimirow
Foto: Dr. Wichra Baewa
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