Am 3. April vor genau 135 Jahren beschloss die Gründungsversammlung Bulgariens, nach annähernd 500 Jahren türkischer Fremdherrschaft, die Hauptstadt des wiederentstandenen Staates zu bestimmen. Die Wahl fiel auf Sofia.
Diese Entscheidung war kein Ergebnis einer zufälligen Eingebung, sondern erfolgte auf Grund tiefgreifender geschichtlicher Zusammenhänge. Sofia ist nicht nur eine der ältesten Städte in Bulgarien, sondern in Europa überhaupt. Eine erste Siedlung an gleicher Stelle war bereits in der Neusteinzeit entstanden und seither ist das Leben an diesem Ort nicht abgebrochen. Anziehend für die Menschen waren die warmen Mineralwasserquellen, die auch die Thraker und später auch die Römer zu schätzen wussten. Gleichzeitig erkannte man auch die strategische Bedeutung des Ortes, der am Kreuzweg verschiedener wichtiger Verbindungsstraßen lag. Als die Bulgaren zu Beginn des 9. Jahrhunderts die Stadt ihrem Reich angliederten, erlebte sie eine erneute Blüte.
„Mit der Eroberung durch die Türken Ende des 14. Jahrhunderts wurde Sofia in eine typisch orientalische Stadt umgestaltet, mit Moscheen, Karawansereien, Basaren und vielen krummen Gassen“, erzählt Alexander Markow vom Museum für Stadtgeschichte Sofias. „Als Sofia in Folge des russisch-türkischen Krieges von 1877/78 befreit wurde, zählte sie kaum 12 Tausend Einwohner, was jedoch kein Grund war, sie nicht als neue Hauptstadt Bulgariens vorzuschlagen.“
Die Idee dazu hatte der bulgarische Wissenschaftler und Politiker Prof. Marin Drinow. Er verwies auf die große strategische Bedeutung der Stadt. Der Vorschlag, die einstige bulgarische Reichshauptstadt Tarnowo aus dem 12. bis 14. Jahrhundert erneut zur Hauptstadt zu bestimmen, wurde eben aus strategischer Sicht abgelehnt. Sofia besaß eindeutig bessere Entwicklungschancen.
Die Art und Weise, wie die Entscheidung gefallen ist, kann aus den Protokollen der Parlamentsversammlung ersehen werden. Nachdem Sofia vorgeschlagen worden ist, wurden die Abgeordneten aufgefordert, weitere Vorschläge zu unterbreiten. Sie wurden gleichzeitig damit aber auch ermahnt, sich dabei von den Interessen des Volkes und des Landes leiten zu lassen. Als letzter kam Dragan Zankow zu Wort. Er sagte, dass Bulgarien zwei Hauptstädte besitzt: das historische Tarnowo und Sofia, wo sich die Residenz des Landesfürsten befinden solle. Seiner Ansicht nach sollten die künftigen Monarchen des Landes in Tarnowo gekrönt werden, was dann auch geschehen ist.
Die Stadt Sofia erlebte nach ihrer Benennung zur Hauptstadt des Fürstentums Bulgarien eine rasante Entwicklung. Alle grundlegenden staatlichen Institutionen wurden hier eingerichtet und sie verwandelte sich in ein Zentrum des politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Lebens. Tatsächlich hat sich Sofia binnen 15 bis 20 Jahren bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts aus einem zurückgebliebenen Ort mit eher ländlichen Charakter in eine moderne und gutaussehende Stadt verwandelt. Wasserversorgung und Kanalisation entstanden neu; um die Jahrhundertwende erhielt die Stadt elektrisches Licht und 1901 nahm die erste Straßenbahn ihre Fahrten auf. Im Zentrum entstanden repräsentative Bauten, von denen die meisten heute architektonische Perlen darstellen. Genannt seien die Gebäude des Parlaments, des Nationaltheaters “Iwan Wasow”, des Militärclubs, der Post und etlicher Ministerien und Banken. Diese Gebäude sind Werke bekannter ausländischer Architekten. Schnell wurden sie aber von einheimischen Baumeistern abgelöst, die mittlerweile eine solide Ausbildung in den wichtigsten damaligen Architekturzentren Europas erhalten hatten. Damit erhielt Sofia in architektonischer Sicht auch ihren spezifisch bulgarischen Charakter zurück, den sie vor vielen Jahrhunderten eingebüßt hatte.
Übersetzung und Redaktion: Wladimir Wladimirow
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