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Die Martenitza – eine alte bulgarische Tradition

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Foto: BTA

Am 1. März erstrahlt ganz Bulgarien in den Farben Rot und Weiß. Groß und Klein tragen an der Kleidung oder am Handgelenk die traditionellen rot-weißen Quasten, genannt „Martenitza“. Mit diesem Brauch begehen die Bulgaren seit Urzeiten den Frühlingsbeginn. Die Tage sind spürbar länger geworden, die Sonne scheint kräftiger und der Winter zieht sich zurück. So ist es hierzulande jedes Jahr und das sicher seit mehr als 1.300 Jahren – eben seit es den bulgarischen Staat auf der Balkanhalbinsel gibt. Dieser rein bulgarische Brauch ist nicht unbemerkt geblieben und selbst Google erscheint an diesem Tag in den Farben Rot und Weiß.

Die Bulgaren nennen den März liebevoll „Baba Martha“, was soviel wie Oma Martha bzw. Oma März heißt. Man erzählt sich die Legende, dass vor unerdenklichen Zeiten weit oben im Gebirge die Oma März lebte. Sie sah und hörte alles, was auf der Erde geschah. Wenn sie froh gelaunt war, schien die Sonne wie Gold am Himmel, die Vögel zwitscherten fröhlich und das Gras entfaltete sein üppiges Grün. Falls sie aber schlechte Laune hatte, hüllte sich das Gebirge in dunkle Wolken, Schnee und Eis fegten durch die Wälder, die Erde erstarte vor Frost und die Vögel gaben keinen Laut von sich. Daher würden die Bulgaren seit jener Zeit Jungen und Märchen, Kühe und Schafe und auch die Obstbäume mit rot-weißen Kordeln schmücken, um Oma März gnädig zu stimmen. Auch an die Häuser wurden diese bunten Schnüre gehängt. Sie sollten vor Krankheiten, bösen Geistern und nicht an letzter Stelle auch vor schlechten Menschen schützen. Sobald Oma März die rot-weißen Schnüre sah, musste sie lachen und die Sonne schien wieder am Himmel. Daher beschenken sich die Bulgaren alljährlich am 1. März mit den rot-weißen Quasten...

Foto: BTAWarum ist die Martenitza ausgerechnet in den Farben Rot und Weiß? Man kann sicher lange über die Semantik der Farben in den verschiedenen Kulturen und Religionen sprechen. In den meisten Völkern kommt der roten Farbe ein besondere Bedeutung zu. Rot ist das Blut, der Wein und die Glut – Dinge, denen in vielen Ritualen eine Schlüsselbedeutung zukam. Und so war einst in Bulgarien auch der Brautschleier rot, denn er sollte die Jungvermählte beim Übergang vom Mädchen zur Frau schützen. Der Brautschleier wurde 40 Tage lang getragen und in einem speziellen Ritual abgelegt. Mit roten Stickerein waren auch die Tücher versehen, mit denen die Braut bei der Hochzeit ihre Hände bedeckte. Rot bestickt waren auch ihre Strümpfe. Kein Teil ihres Körpers durfte ungeschützt bleiben; sie durfte nicht einmal die nackte Erde berühren. Aus diesem Grund musste die Braut beim Eintreten in den Hof ihres künftigen Mannes nur auf weiße Laken treten, die speziell zu diesem Zweck gewebt wurden. In einigen Regionen Bulgariens nutzte man anstatt der Laken einen besonderen Läufer mit einem rote Faden darauf. Die Braut schritt voran und musste immer auf diesen Faden treten; der Bräutigam ging hinter ihr und wickelte den Faden zu einem Knäuel auf. Sobald später das erste Kind geboren wurde, strickte die Frau eine Windel aus dieser Wolle.

Die Farbe Weiß gilt auch in Bulgarien als Zeichen für Unschuld und Unbeflecktheit, aber auch für Freude, Erhabenheit und Schönheit. In vielen Liedern, in denen ein Mädchen beschrieben wird, heißt es, dass es ein weißes Gesicht hat. Damit meint man, dass es schön sei. Weiß ist auch das Hemd den Jünglings; der Südwind wurde zuweilen auch „weißer Wind“ genannt. Weiß ist ebenso die Tracht der Braut, wie auch das Pferd, mit dem sie in ihr neues Heim einreitet. Weiß ist aber auch der Blumenstrauß, mit dem man sich von einem Toten verabschiedete. Weiß symbolisiert nämlich die Verbindung zum Jenseits. Unsere Vorfahren glaubten, dass die Seelen der Verstorbenen, wie auch die Engel weiße Gewänder tragen.

Sobald die Bulgaren einst den ersten Storch sahen, legten sie ihre Martenitza ab. Was geschah nun mit ihr? Es gibt verschiedene Bräuche. Laut einem musste man sie unter einem größeren Stein legen. Nach neun Tagen hob man den Stein an und zählte all die Lebewesen, die sich darunter verkrochen hatten. Um so zahlreicher sie waren, desto mehr Glück erwarte einem im laufenden Jahr. Laut einem anderen Brauch warf man die Martenitza in einen Bach, damit alles im Jahr flutscht. Am meisten ist jedoch der Brauch verbreitet, bei dem man seine Martenitza an einen Obstbaum bindet. Das ist bis heute so und daher sollten sich die Bulgarien-Besucher nicht über einige Bäume wundern, die im Frühling über und über mit rot-weißen Kordeln und Quasten verschiedenster Ausführung behängt sind.

Am 1. März wurde aber auch orakelt. Man suchte sich einen Tag zwischen dem 1. und dem 22. März aus. Dieser Tag gab über die Gunst des Schicksals Auskunft. War er sonnig, so verhieß das ein glückliches Jahr. War er jedoch trüb und verregnet, so sollte entsprechend auch das Jahr für jeden persönlich ausfallen.

Heutzutage ist die Martenitza ein Symbol der Liebe, der Gesundheit und des langen Lebens. Wenn man eine Martenitza verschenkt, knüpft man daran die innigsten Gefühle. Daher ziehen es viele Bulgaren vor, die zu verschenkenden Martenitzas selbst zu basteln. Traditionell bestehen sie aus Wollfäden, doch in neuerer Zeit sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Es kommen auch andere Farben zu Einsatz, wie auch Glasperlen bis hin zu kleinen Glücksbringern in den verschiedensten Formen und Gestalten – von Kleeblättern bis hin zu Märchenhelden. Die Kinder haben ihre helle Freude daran. Da jeder gleich von mehreren Menschen mit einer Martenitza beschenkt wird, sind diese in Form von Armbändern besonders verbreitet. Sie werden einem ans Handgelenk gebunden und vor allem die Jugendlichen freuen sich über den üppigen Schmuck Dutzender solcher Martenitzas. Es gibt aber auch Ohrringe, Strümpfe, Hüte und Krawatten, die unmissverständlich als eine Martenitza gedeutet werden können. Einige Bulgaren ziehen sich am 1. März von vornherein etwas weißes und rotes an. Die Straßen quellen übrigens mit Ständen über, die mit rot-weißer Pracht überladen sind – mit Sicherheit ist für jeden Geschmack etwas dabei. Alle tragen mindestens eine Martenitza, selbst Polizisten. Sie werden genauso auch an die Fahrzeuge gehängt und auch die Haustiere werden nicht verschont. Martenitzas prangen überall – an Cafés, Geschäften, Türen und Fenstern...

Es gibt etliche Legenden über die Entstehung dieses Brauchs. Alle stehen jedoch mit den Urbulgaren in Verbindung. Eine führt uns 1.300 Jahre zurück in die Geschichte und handelt von dem Gründer des bulgarischen Staates auf der Balkanhalbinsel, Khan Asparuch. Er habe sich nach einem neuen Ort für den Staat umgeschaut, nachdem die Hunnen sein Land verwüstet und seine Schwester namens Huba als Geisel entführt hatten. Als er endlich einen geeigneten Ort fand, dort nämlich, wo sich das heutige Bulgarien erstreckt, wollte er seine Schwester darüber benachrichtigen. Er schickte einen Falken mit einem entsprechenden Brief. Huba gelang die Flucht und um ihr Kommen anzukündigen, schickte sie den Falken zurück, an dessen Greif sie einen weißen seidenen Faden band. Sie selbst folgte dem Flug des Vogels, der sie in die neuen Gefilde führte. Die Verfolger waren ihr aber auf den Fersen und schließlich gelang ihnen, den Falken mit einem Pfeil zu treffen. Der Vogel hielt sich wacker und erreichte sein Ziel – sein Blut hatte aber den weißen Faden teilweise rot gefärbt. Asparuch war über die Nachricht hoch erfreut und kam seiner Schwester mit seinem Heer entgegen. Alles geschah am 1. März, dem ersten Tag des Jahres nach dem damaligen Kalender. In dem rot-weißen Faden sah Asparuch ein Zeichen der Vereinigung, das ihn zudem am Jahresanfang erreichte und einen glücklichen Neubeginn verhieß...

Übersetzung und Redaktion: Wladimir Wladimirow



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